Angezogen - das Geheimnis der Mode
Maßen des Menschlichen, so verweist nun das Mannequin immer nur auf den toten Körper der Puppe. Hängt die Schönheit der Statue am Erscheinen des Göttlichen, so die Faszination des Mannequins an seelenloser Äußerlichkeit.
In dieser Perspektive bekräftigt Mode hemmungslos die sinnliche Erscheinung, der jedes transzendente, ideale Element fehlt. Diese Erscheinung ist nun nichts anderes mehr als die hergerichtete Hülle, Schein oder Zerrbild idealer Schönheit, ein Zerrbild aber auch jeder Durchsichtigkeit auf ein Geistiges hin, von jeder Innerlichkeit so seelen- wie geistlos entleert. Der Inbegriff ihrer Affirmation – als Warenfetischismus, Verdinglichung etc. apostrophiert – ist das Mannequin mit seinem leeren,spiegelnden, abwesenden Blick. Während Männer zu selbstbestimmten, geschichtsmächtigen Subjekten geworden sind, ist Weiblichkeit zur Ware und die Ware weiblich geworden: »Der prostituierte weibliche Körper ist allgegenwärtig. Die entwürdigendste Pornographie wird weltweit verkauft. Tagein, tagaus geben Teenagermagazine ausführlich Ratschläge, wie man seinen Körper sexuell aufreizend inszeniert. Die universelle Zurschaustellung angeblich erregender Körperteile ist verpflichtender geworden als Kants moralischer Imperativ.« 17 Die Verdinglichung, um für den Meistbietenden interessant zu werden, ist die freudlose Rückseite der Emanzipation: Zurschaustellung ist tatsächlich Preisgabe. Die Frau unterwirft sich als Objekt dem abschätzenden, abschätzigen Blick des anderen Geschlechts.
Ich möchte die Geschichte etwas anders erzählen. Das Widerspiel von Anzug und Mode bestimmt die Struktur der Mode der Moderne. Die weibliche Mode inszeniert, was im Anzug stabil gelöst scheint: das Verhältnis von Körper und Zeit. Zeit, die nicht in Dauer überführt wird, ist der Stoff, aus dem die weibliche Mode ist. Sie hält den Körper in seiner konkreten Leiblichkeit, in seiner nackten, reizenden oder abstoßenden Verletzlichkeit, in Zeitlichkeit und Räumlichkeit, im Hier und Jetzt im Spiel. Die weibliche Mode ist von der Spannung zwischen dem Vorschein von Ewigkeit im zeitlos Schönen und der Vergänglichkeit des Wegs allen Fleisches beherrscht. Ohne Jenseits bleibt sie auf den individuellen irdischen Leib bezogen. Anders als die männliche Mode der Moderne, die Zeit und alles Zufällige, bloß Modische aus sich ausschließt, besteht der Reiz der weiblichen Mode gerade im Aufeinandertreffen von Ewigkeit und flüchtigem Moment. Jenseits aller Idealität zerstiebt die Zeitlosigkeit der Statue zu einem Phantombild, das die Mode manchmal in der Mechanik der unbeseelten Puppe oder im zerstückelten Körper heimsucht. Dreht sich im ikonischen und erfolgreichsten Kleidungsstück der Moderne, dem Anzug, alles um die Aufhebung des Körpers in eine selbstbestimmteund -beherrschte Person, die gleichzeitig Amtsperson ist, dann bleibt die Entäußerung an den Körper, die Entäußerung des Körpers, das bestimmende Moment der weiblichen Mode. Das kann bis zur völligen Objektwerdung, bis zur Verdinglichung etwa in der Puppe und der Marionette, ja, bis zur Verpflanzlichung, Vertierung, zur Versteinerung dieses Körpers gehen.
Mode, weibliche Mode, hat in der Moderne nur ein Thema: die Zeit. Sie kann Elixier des Vergessens sein. Überraschend wie Phoenix aus der Asche macht sie in einem Moment alles neu und wirft die Bürde der Vergänglichkeit als reines, zukünftiges Versprechen ab. Kaum realisiert, ist sie schon passé. Mode kann Erinnerungskunst sein. Im Moment tragen wir Zeit, die Zeit und deren Spuren, abgetragene, getragene Kleider, Vintage. Der letzte Schrei ist jetzt nicht das Neue, sondern das Alte, das, was abgelegt und unmodern geworden ist. Die Mode trägt der Moderne gegen ihre Fortschrittsgeschichte den Anachronismus ein, das Aus-der-Zeit-Fallen, Aus-einer-anderen-Zeit-Kommen, das zutiefst Unzeitgemäße, die Wiederkehr des Gleichen. Raffinierte Kleider können selbst die Geschichte der Mode, die Zeit ihrer Herstellung, die Zeit ihres Verfalls, zum Thema haben. Der weibliche Körper wird zur Bühne der Zeit.
Trickle up, trickle down
Die Dynamik der Mode verdankt sich also nicht einem Distinktionsbegehren, das auf eine Repräsentation von Klasse hinausliefe. Das mag das Modebegehren vor dem großen Bruch der Revolution gewesen sein. Der Philosoph Mandeville hielt zu Anfang des 18. Jahrhundert in seiner berühmten Bienenfabel Hochmut und Eitelkeit, immer mehr darstellen zu wollen, als man
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