Angezogen - das Geheimnis der Mode
ins Gesicht des alle moderne Ästhetik begründenden Dogmas »form follows function« und ein Indiz dafür, dass es mit dem endgültigen Durchbruch der neuen Frau nicht so leicht sein würde. John Galliano, der bis zu seinem jähen Sturz 2011für vier Jahre Chefdesigner des Hauses Dior war, hat diesen Look schwindelerregender Weiblichkeit in den Fußstapfen von Charles Frederick Worth und Christian Dior wiederbelebt und diese, die Mode immer wieder heimsuchende Weiblichkeit der Belle Epoque durch Überzeichnung zur Burleske gemacht. Burlesk ist auch seine Selbstinszenierung als Herrscher der Mode, als verwackelter König gewesen.
Eine orientalische Kolonie
Das moderne, westliche Subjekt begreift sich als frei, selbstbeherrscht, selbstbestimmt, vernunftgeleitet. Es strebt nach Perfektion und ist fortschrittsorientiert. Das »orientalische« Subjekt wird im Gegensatz dazu als seiner Lust unterworfenes und andere despotisch unterwerfendes Subjekt gesehen, das gefallen und verführen will. Im sich eintönig wiederholenden Kreislauf der Lüste, im immer gleichen Kult des Erotischen kennt es weder Selbstbestimmung noch Entwicklung: Unterwerfend und unterworfen, findet es keinen Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit und ist weder aufklärungsnoch geschichtsfähig. Der Orient ist zum Inbegriff dieses Anderen der Moderne aufgebaut worden. 68 Den geschichtsmächtigen Europäern erscheint der Orient als stagnierend dekadent. Der Diskurs über die Mode macht diese zu einer solchen orientalischen Enklave: Tyrannisch fordert die Mode wie die orientalischen Herrscher Unterwerfung. Sie macht die, die sich ihr blind unterordnen und begierig jedem ihrer Fingerzeige folgen, zu ihren Sklaven. Jede Vorstellung von Selbstbestimmung ist ihr fremd. Sie setzt nicht auf die inneren Werte, sondern blendet durch Äußerlichkeit. Sie ist ein falscher Gott, der Anbetung fordert wie ein orientalisches Götzenbild.
Um endlich moderne, mündige, selbstbestimmte Bürger werden zu können, müssen die Frauen sich zuallererstvon dieser Tyrannei der Mode emanzipieren, die sie zu Sexspielzeugen der Männer und die Männer zu ihren Sexsklaven macht. Mode macht die etymologische Wurzel des Subjekts gegen alle Versuche der Emanzipation wahr. Sie spricht jeder Vorstellung eines selbstbestimmten Subjekts als Rückgrat allen aufklärerisch-bürgerlichen Strebens Hohn. Bei allen flatterhaften Launen und dem dauernden Wechsel ist ihr jeder Fortschrittsgedanke, jede logische Formentwicklung fremd. Sie bildet einen eigenartigen, manchmal als bedrohlich empfundenen, manchmal heiß geliebten, meistens belächelten Fremdkörper im Herzen der Moderne. Obwohl Mode mit Weiblichkeit kurzgeschlossen wird, ist es entscheidend – und das wird oft vergessen – dass dieser Gegensatz von salopp gesagt westlich/ männlich versus orientalisch/weibisch nicht mit dem »natürlichen« Geschlecht zusammenfällt. Die emanzipierte Frau auf der einen Seite, der Dandy, der homme à femme, der Modegeck, die Schwuchtel auf der anderen, durchkreuzen diese Opposition.
So paradox es erscheinen mag, Mode – das Modische in der Moderne – wird zum Anderen der Moderne schlechthin. Diesen grotesk unmodernen Rest, diesen feudal dekadenten Überhang ins bürgerliche Zeitalter gilt es, finden überzeugte Moderne, emanzipatorisch zu überwinden. Immer wenn es um die Reform der Mode und um eine endlich moderne Mode geht, geht es um den Auszug aus dem »Orient« in die Moderne.
Indifferent: A-Mode
Nun kann dieser antimodische wie auch der a-modische Impuls für die Entwicklung der Mode, durch und durch paradox, gar nicht überschätzt werden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts sieht die Encyclopédie den Antrieb zur Mode in dem Begehren, gefallen zu wollen, ja mehr als die anderen gefallen zu wollen. Und mehr zu gefallen, als man das in seiner schierenNaturbelassenheit würde. 69 Das souveräne, moderne Subjekt weist beides fast empört von sich. Nie würde es zugeben, gefallen zu wollen. Und verachten müsste es sich selbst, würde es sich zu diesem Zweck auch noch nicht authentisch geben, wie es ist, sondern sich mit fremden Federn schmücken. Nur Zombies à la Berlusconi geben ganz unumwunden zu, dass sie alles, Schönheitsoperationen inklusive, auf sich nehmen, um den Frauen zu gefallen. Die bürgerliche, protestantische, nordische Welt, von der Nietzsche spricht, findet so etwas halbseiden. Es steht billigen Entertainern auf billigen Touristenschiffen in südlichen Gefilden
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