Angezogen - das Geheimnis der Mode
zu.
Entscheidende Modeentwicklungen der Moderne verdanken sich der ganz und gar unhöflichen Behauptung des Gegenteils: Nicht um zu gefallen, sondern um sich optimal bewegen zu können, zieht man sich an. Und nicht um mehr zu erscheinen, als man ist, sondern um sein Selbst authentisch auszudrücken. Mode ist dann idealerweise in der Selbstauslöschung nichts als die Lösung eines Problems. Turnschuhe, bloß keine Hutschachteln. Leichtes, kleines Gepäck. Nichts, das knittert. Kleider, mit denen man sich schnell und frei bewegen kann. Keine gehbehindernden Bleistiftröcke mit High Heels. Schuhe, so bequem, warm und weich wie Pantoffeln, die dann aber immerhin noch selbstironisch UGGs heißen und genauso aussehen. Röcke und Anzüge, die nicht so eng geschnitten sind, dass sie nach einem etwas üppigeren Abendessen kneifen. Daher auch der globale Siegeszug der Sportkleidung, die funktional und deshalb praktisch ist. Die Umwelt wird nicht mehr als Bühne oder Salon begriffen, wo man erscheint und spielen kann, sondern als ein Parcours, den es zu bewältigen gilt. Im Extremfall wird die Stadt zum Dschungel, in dem man sich sicher und heil, schnell, wendig, unauffällig und gut geschützt bewegen möchte. Casual eben.
Dieser Pragmatismus steht in der langen Geschichte des republikanisch-männlichen Einspruchs gegen alles Aristokratisch-Weibliche, gegen alles Modische. Natürlich kann undwird dieser männliche Protest von Männern wie von Frauen artikuliert. Jedes Wertlegen auf bloße Äußerlichkeiten, jedes Zeremoniell wird dabei gründlich ausgetrieben. Zeremoniefeindlich scheint heute sogar das Fertigmachen für einen Ball zu sein. Frischgeschrubbt steigen die Leute in ihr Abendkleid, so wie sie sonst ihren Jogginganzug überstreifen. Man duscht, das schon noch, aber das ist ja weniger ein Schmücken als Hygienemaßnahme. Eine Dame, die sich im Taxi auf dem Weg zum Ball hinlegen muss, weil ihr Mugler, der sie zur Königin des Abends machen wird, so eng ist, dass sie darin schlicht nicht sitzen kann, ist heute kaum mehr vorstellbar. Vor allen Dingen nicht, dass sie dabei gute Laune hat. Die Jeans, die man in den Siebzigerjahren in der Badewanne auf knappste Passform brachte – auch nicht wirklich bequem, aber das war egal – haben jetzt Stretch: bequem und trotzdem eng. Anna Dello Russo, die verkündet, wirkliche Mode dürfe nicht bequem sein, kommt den meisten antiquiert vor.
Der Sohn einer Nachbarin weiß gar nicht mehr, was das heißen soll, sich zum Abendessen anzuziehen: Er sei doch in Sweatshirt und Shorts nicht nackt! Seine Mutter ist stolz auf den Sohn, der sich nicht eitel mit Äußerlichkeiten aufhält, sondern die inneren Werte im Blick hat. Wahrscheinlich isst er auch nicht zum Vergnügen, sondern nur, weil er Hunger hat.
Diese Haltung ist keine Form von Coolness – der Nachfolgeformation der höfischen sprezzatura: Um zu gefallen, darf man auf keinen Fall so wirken, als wolle man gefallen. Wie jeder weiß, muss man schon ziemlich viele Gedanken auf sein Äußeres verwenden oder äußerst routiniert sein, damit es so wirkt, als habe man keinen Gedanken darauf verschwendet, leger und cool zu wirken.
Die nicht gespielte, sondern fast aggressive Gleichgültigkeit gegen die äußere Erscheinung, die im Trend liegt, hat mit dieser Coolness nichts zu tun. Coolness ist ein Umgang mit Wirkung; diese Gleichgültigkeit verleugnet Wirkung um einer Essenz willen und führt zu einer eigentümlichen Stillosigkeit.Der Anspruch, um seiner unverstellten Authentizität willen genommen zu werden, wie man ist, hat etwas merkwürdig Narzisstisches. Ebenso trotzig wie unelegant besteht man darauf, in höherer Mission unterwegs zu sein. Man hat Wichtigeres zu tun, als sich mit nichtigen Frivolitäten zu beschäftigen und kann keine Zeit damit verschwenden, dem anderen zu gefallen – oder ihn zu schockieren. Sich in ein ansprechendes Verhältnis zum anderen zu setzen, ihn zu amüsieren, zu reizen, auf Distanz zu halten, raumgebend und raumschaffend zu sein – das ist der Sinn von Mode.
Stattdessen droht die Stadt zu einer Anhäufung von Monaden zu werden, die sich gegenseitig im Weg stehen. Auf die Straße geht man nicht mehr, um zu sehen und gesehen zu werden, sondern um möglichst schnell möglichst weit und möglichst bequem voranzukommen. Ein weitgehend aus Sportkleidung zusammengesetzter no-style. Er weist alle Ästhetik weit von sich, und in seiner ätzend öden Pseudofunktionalität gelingt es ihm noch nicht
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