Angriff auf die Freiheit
reeller Krieg kann gegen Menschen und Staaten, gegen Häuser und Fabriken, aber nicht gegen das Böse an sich gerichtet werden. Die rhetorische Überhöhung der politischen und polizeilichen Auseinandersetzung mit terroristischen Attentaten zu einem »Krieg gegen den Terror« soll die Öffentlichkeit auf einen dauerhaften Ausnahmezustand vorbereiten.
Früher war »Terror« eine von Denkern wie Thomas Hobbes als legitim betrachtete Staatspraxis. Sie diente dazu, das Volk in Angst und Schrecken zu halten und auf diese Weise gefügig zu machen. Im Zusammenhang mit der Französischen Revolution wurde ab 1793 der »Terror des Konvents«, also Hinrichtungen und Verhaftungen, gegen »Konterrevolutionäre« eingesetzt. Später wurde der Begriff vor allem kritisch gebraucht, zum Beispiel für den stalinistischen Terror oder den Terror der nationalsozialistischen SS. Stets handelte es sich dabei um ein Vorgehen des Staates gegen Einzelne.
Das hat sich umgedreht. Inzwischen wird »Terror/Terrorismus« als ein Phänomen betrachtet, das von Einzelnen ausgeht und den Staat bedroht, was einer Neubestimmung des Begriffs gleichkommt. Ein Staat, der den Terror bekämpft, kann sich also selbst nicht des Terrors schuldig machen. Er handelt gewissermaßen in Notwehr, selbst wenn er eine halbe Million Iraker auf dem Gewissen hat. Auf diese Weise dient der »Krieg gegen den Terror« als Rahmenerzählung für Konflikte weltweit und rechtfertigt fast jede Handlung. Ob wir Piraten in Somalia bekämpfen oder Diktaturen in Zentralasien unterstützen – was immer politisch opportun erscheint, kann mit diesem Krieg begründet werden.
Ein Ende ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Dieser Krieg ist für die Ewigkeit. Wer meint, dies sei eine Übertreibung, der möge lesen, was Donald Rumsfeld, ehemaliger amerikanischer Verteidigungsminister, schon am 20. September 2001 äußerte:
»Was wäre ein Sieg? Ich meine, es wäre ein Sieg, das amerikanische Volk davon zu überzeugen, daß dies keine schnelle Angelegenheit ist, die in einem Monat oder einem Jahr oder gar fünf Jahren vorbei sein wird. Es ist etwas, das wir in einer Welt mit mächtigen Waffen und Leuten, die bereit sind, diese mächtigen Waffen zu nutzen, fortwährend tun müssen.«
Ein kriegerisches perpetuum mobile also, ein dauernder Ausnahmezustand, der Ausnahmegesetze rechtfertigt. Der Begriff »Krieg gegen den Terror« suggeriert, es handele sich um einen rein militärischen Konflikt, der nichts mit den sozialen und politischen Gegebenheiten auf der Welt zu tun habe, weswegen Gegner nur in die Steinzeit gebombt und nicht etwa als Partner oder gar Freunde gewonnen werden könnten.
Trotz dieser Remilitarisierung haben sich manche Hoffnungen nach 1989/90 durchaus erfüllt; andere könnten noch immer verwirklicht werden. Die vielgescholtene Globalisierung trägt kulturelle und technologische Chancen für eine weltweite Verständigung in sich. Das Internet ist eine dezentral organisierte Plattform mit enormem Potential für Austausch und Organisation, auch um bislang Benachteiligte zu unterstützen. Politische Spannungen werden durch internationale Handelsbeziehungen unterlaufen, und das Säbelrasseln von einst ist einem raffinierten Katz-und-Maus-Spiel auf internationalen Konferenzen gewichen.
Bei Tageslicht betrachtet, erleben wir Mitteleuropäer historisch einmalig friedliche Zeiten. Wir hätten allen Grund, diesen Frieden zu schätzen und unsere Erfahrungen zu nutzen, um ihn zu erhalten. Eine simple, aber gewichtige Erkenntnis läßt sich aus den letzten Jahrzehnten europäischer Geschichte gewinnen: Sicherheit entsteht nicht durch Konfrontation, sondern durch Kooperation. Statt diese Regel auch jenseits der europäischen Grenzen hochzuhalten, tönen und dröhnen Politiker und »Experten«, die Welt sei chaotisch geworden (als wäre sie in früheren Epochen übersichtlich und ordentlich gewesen). Die »Bedrohung« unseres Landes und jedes Einzelnen von uns sei größer als je zuvor (im Vergleich etwa zur nuklearen Bedrohung vor wenigen Jahrzehnten?). Das schlimme Schlagwort »Clash of Civilizations« wird in der deutschen Übersetzung zum noch schlimmeren »Kampf der Kulturen«. Politik und Medien verbreiten den Eindruck, nicht nur unsere Länder, nein, unser ganzer »Kulturraum« und unser »Wertesystem« würden von gegnerischen Mächten angegriffen. Da ist er wieder, unser selbstgemachter Krieg der Sterne: Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß. Eine neue, unsichtbare Grenze teilt
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