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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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zwischen Staaten bieten. Der Terrorismus ist eine staatenübergreifende, übrigens nicht erst am 11. September 2001 erkannte Erscheinung. Die Attentäter als Kreuzritter des Islam zu betrachten gesteht ihnen eine religiöse Würde zu, die sie nicht verdienen. Von einer solchen Einstufung muß sich die ganz überwiegende Zahl der Moslems beleidigt fühlen. Die geltenden Gesetze auf allen Seiten des »Kulturkampfes« behandeln Terroristen als Verbrecher. Auf das Erreichen einer global einheitlichen Betrachtungsweise unter diesen Vorzeichen hätten sich von Anfang an sämtliche politischen Anstrengungen richten müssen. Dann wäre klargeworden, daß uns der Terrorismus auf die gleiche Weise bedroht wie andere schwere Verbrechen. Bedroht sind konkrete Rechtsgüter, im schlimmsten Falle Leib und Leben der Betroffenen. Nicht bedroht sind unsere »Werte«, unsere Gesellschaft, unsere Identität.

    Die Fronten zwischen Weltanschauungen laufen in Wahrheit quer zu religiösen, kulturellen oder geographischen Kategorisierungen. Wenn man überhaupt von einem »Kampf der Kulturen« sprechen will, bezeichnet dieser keine Auseinandersetzung zwischen der islamischen und der christlichen Welt, sondern das Auseinanderdriften von Antworten auf die Frage, nach welchen Grundsätzen Menschen auf diesem engen Planeten zusammenleben wollen. Gegner wie Befürworter von Toleranz und Freiheit finden sich innerhalb sämtlicher »Kulturen«.
    Der »islamistische Terrorismus« entfaltet sich vor dem Hintergrund einer Weltanschauung, die mit Demokratie, Menschenrechten und freiheitlichem Parlamentarismus nichts am Hut hat. Mit guten Gründen haben sich unsere Gesellschaften vom Gottesstaat abgewandt, wir trennen Staat und Kirche, lehnen körperliche Züchtigungen und Folter ab, arbeiten seit Jahrzehnten an der Gleichstellung von Mann und Frau. Diese Errungenschaften gilt es hochzuhalten und zu verteidigen, aber nicht gegen die »islamische Welt«, sondern innerhalb einer grenzüberschreitenden Gemeinschaft von Menschen, die nach freiheitlichen und friedlichen Prinzipien zusammenleben möchte. Dieses Ziel erreicht man nicht, indem man rhetorische und politische Barrieren aufbaut und die Welt in »die da« und »wir hier« unterteilt. Man erreicht es auch nicht, indem man die eigentlich zu schützenden Werte abbaut, um sich präventiv gegen die illusorische Gefahr einer islamistisch-extremistischen Indoktrinierung zu verteidigen. Der Kampf gegen freiheitsfeindliches Denken kann nicht mit Waffen, verschärften Gesetzen und dem Aufbau von Feindbildern betrieben werden, sondern nur durch geistige Auseinandersetzung, also durch Bildung, Gespräch und kulturellen Austausch. Es ist immer ein Fehler, Allianzen anhand von reißbrettartig umrissenen Identitäten schmieden zu wollen. Viel sinnvoller ist es, auf allen Seiten nach Vertretern einer freiheitlichen Weltsicht Ausschau zu halten und ihre Anstrengungen zu unterstützen. Genauso gilt es auf allen Seiten, demokratiefeindliche Tendenzen kritisch zu erkennen – ganz gleich, ob sie in aggressiven Reaktionen auf Mohammedkarikaturen oder in der Absenkung des Grundrechtsstandards zugunsten von »innerer Sicherheit« zum Ausdruck kommen.

    Solchen Argumenten wird vorgehalten, sie seien Ausdruck der Feigheit von Leuten, die unsere Demokratie nicht verteidigen wollen. Aber wer ist nun feige: Derjenige, der aus Angst vor Terroristen Teile der Verfassung ändern will, oder derjenige, der an seinen Grundüberzeugungen festhält und an das Beharrungsvermögen unseres Rechtsstaats glaubt? Es geht nicht darum, ob Demokratie und Freiheit verteidigt werden müssen, sondern um die Frage, auf welche Weise und gegen wen.
    Nicht der Terrorismus wird unserem Land gegenwärtig gefährlich, sondern die Bereitschaft, sich vom Terrorismus einschüchtern zu lassen, sowie der Versuch, die »terroristische Bedrohung« zu instrumentalisieren, um autoritäre Strukturen einzuführen. Wenn es tatsächlich unser freiheitliches Selbstverständnis ist, von dem sich Terroristen provoziert fühlen, dann agiert jeder, der diese Freiheit den Terroristen zuliebe beschränken will, geradezu in Beihilfe. Solange sich der Terrorismus nicht in einer Armee manifestiert, die auf Berlin marschiert, wäre der Einsatz von Bundeswehrtruppen im Inneren keine Verteidigung des Rechtsstaats, sondern ein Angriff auf denselben.
    Wer abschätzen will, welche Bedrohung nicht der Terrorismus, sondern die Reaktionen auf ihn für die Demokratie darstellen, der

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