Angriff auf die Freiheit
Sie können uns nur dazu provozieren, es selbst zu tun. Sie benötigen unsere Mitwirkung. Sie bedrohen uns mit Folgen, die wir nur selbst herbeiführen können.
Denn hinter den Terroristen steht keine feindliche »islamische Welt«, die den Krieg der religiösen Monolithe aufzuwärmen gedenkt. Genau betrachtet, kann niemand erklären, was mit dieser gefährlichen »islamischen Welt« überhaupt gemeint ist. Wer gehört ihr an? Besteht die »islamische Welt« aus Menschen moslemischen Glaubens, die in europäischen Ländern leben? Oder sind die Bewohner Ägyptens damit gemeint, die uns im Urlaub am Roten Meer eine Cola servieren? Oder Saudis, mit deren Öl unsere Motoren laufen? In Wahrheit ist die diffuse »islamische Welt«, sofern sie eine Gefahr darstellen soll, durch etwas ebenso Diffuses definiert: nämlich durch »Terroristen«, »Terrorgruppen«, »Schläfer«, »islamistische Zellen«.
Die massenmediale Konditionierung verlangt von Ihnen, an dieser Stelle empört aufzuschreien: Aber nein! Uns bedroht ein gefährliches internationales Netzwerk namens al-Qaida! Ganze Länder unterstützen doch den Terrorismus, Irak, Iran, Syrien und wer inzwischen noch so alles zur »Achse des Bösen« gehört!
Man überprüfe einmal die konkreten Fahndungserfolge daraufhin, was sie über die operative Macht von »al-Qaida« verraten. Jenseits von volltönenden Videobotschaften in schlechter Bildqualität gibt es vor allem Sympathisanten, die um die halbe Welt reisen, um ein Nachtsichtgerät, eine Splitterweste oder einen Laptop an die Gotteskrieger zu übergeben. Mühsam werden Geldbeträge im 4000-Euro-Bereich ins pakistanische Grenzgebiet gebracht. In Garagen werden Bauanleitungen für Bomben aus dem Internet heruntergeladen. Die veröffentlichten Details über die terroristischen Tätigkeiten widersprechen dem großen Entwurf eines allmächtigen Gegners. Auch die Massenvernichtungswaffen, derentwegen George W. Bush vorgeblich den Irak angegriffen hat, haben, wie inzwischen hinlänglich bekannt ist, in Wahrheit nie existiert.
Aber jene Ausbildungslager, die der Krieg in Afghanistan gerade über die pakistanische Grenze gedrängt hat? Die mögen durchaus existieren. Vielleicht sogar als eine ganze paramilitärische Ausbildungsindustrie. Wie man weiß, haben schon RAF-Terroristen den Umgang mit Waffen im Jemen gelernt. Die Frage bleibt dennoch, welche Macht der Terrorismus aus sich selbst heraus besitzen kann, welche konkrete Bedrohung er darstellt.
Wiederum werden Sie, dem herrschenden Tabu gemäß, widersprechen: Das sei eine empörende Verharmlosung akuter Gefahren. In New York, London, Madrid, Bali und Bombay habe man gesehen, was Terroristen anzurichten vermögen, und etwas Ähnliches könne jederzeit auch bei uns passieren.
Das stimmt. Niemand wird bestreiten, daß durch Anschläge Menschen sterben und daß solche Anschläge überall stattfinden können, auch in einem Land wie Deutschland, das Truppen in Afghanistan stationiert hat. Doch der Versuch, Zusammenhänge von ihrer rhetorischen Überhöhung zu befreien, ist noch lange keine »Verharmlosung«. Es ist völlig angebracht, tödliche Terroranschläge im Rahmen des Möglichen verhindern zu wollen. Das gleiche gilt auch für Massenkarambolagen, Flugzeugabstürze, Amokläufe, einstürzende Sporthallen, Reaktorunfälle, Sturmfluten, AIDS und tödliche Grippewellen. Die über konkrete Gefahren hinausreichende »terroristische Bedrohung« ist allerdings eine fiktive Kulisse, die erst durch unsere panische Reaktion auf sie Realität werden kann.
Was tun wir, wenn ein Zug entgleist und sechzig Menschen sterben? Wir verfolgen das Unglück in den Nachrichten, sind bestürzt, trauern mit den Angehörigen der Opfer. Völlig zu Recht wird nach Verantwortlichen gefragt und versucht, aus etwaigen Fehlern für die Zukunft zu lernen. Nach einiger Zeit gehen wir zur Tagesordnung über. Nicht, weil wir herzlos, sondern weil wir vernünftig sind.
Aus pragmatischer Sicht sind Terroristen keine Krieger eines »Clash of Civilizations«. Sie sind Verbrecher, die es einzufangen und zu bestrafen gilt. Die Jagd auf sie und ihre Hintermänner heißt »Strafverfolgung« oder »internationale Fahndung« – nicht »Selbstverteidigung«. Die Anschläge sind schwere Delikte und für die Betroffenen tragische Katastrophen; sie mögen auch eine politische Botschaft transportieren – sie sind jedoch keineswegs »Kriegserklärungen«, die Anlaß für militärische Auseinandersetzungen
Weitere Kostenlose Bücher