Angriff Aus Dem Netz
Zeitpunkt rückte immer näher. Dodge schien die ganze Sache ziemlich locker zu nehmen, aber für Sam war es keine Kleinigkeit, in das Büro der Kongress-beauftragten einzubrechen. Wenn sie erwischt wurden, konnte er nur allzu leicht wieder in Recton Hall landen.
Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen.
Kurz nach 15.30 Uhr, als die Schatten der Fenster wie lang gestreckte graue Kreuze quer durch den Raum fielen, ertönte plötzlich ein durchdringender, markerschütternder Schrei aus der Mitte des Kontrollzentrums.
»Was zum . . .?«, begann Dodge, wurde aber durch einen weiteren Schrei unterbrochen.
Dieser zweite Schrei hielt länger an, ein archaischer, urzeitlicher Ton, der Entsetzen und abgrundtiefe Verzweiflung ausdrückte – bis er urplötzlich abbrach.
»Ruf Jaggard!«, schrie Dodge, der inzwischen aufgesprungen war. »Das kam aus dem Sumpf!« Er rannte zum Aufsichtsbüro hinauf.
Sam drückte auf den Notrufknopf auf seiner Tastatur und lief Dodge hinterher.
Die Tür war verschlossen, aber bevor sie auch nur überlegen konnten, wer wohl einen Schlüssel besaß, ging die Tür auf und etwas taumelte heraus, das einmal die Sumpf-hexe gewesen war.
Sie schaffte nur noch einen stolpernden Schritt, bevor sie erst auf die Knie, dann ganz zu Boden fiel. Im Fall drehte sie sich auf den Rücken und blieb liegen, die Beine noch halb im Büro.
Was auch immer in ihr gewesen sein und den Schrei verursacht haben mochte, war verschwunden, war aus ihrem Körper geflohen, als hätte es nie existiert. Das Gesicht der Sumpfhexe war still und entspannt. Sie schaute zu Sam und Dodge empor, mit dem fragenden, unschuldigen, engelhaften Blick eines neugeborenen Babys.
16. Das Phantom
Die Sanitäter trugen die Sumpfhexe auf einer Trage hinaus. Sie atmete nur noch sehr flach, und ihr Blick war leer. John Jaggard ging neben der Trage her und hielt ihre Hand, als ob sie sein Kind sei.
Der früher so intensive und laserscharfe Blick war nun so milde und unbestimmt wie ein schwacher Mondstrahl. Und der alles durchdringende, messerscharfe Verstand hatte einem einfachen, kindlichen Gemüt weichen müssen.
Sam hatte sie kaum gekannt, und bestimmt hätte er auch nicht behauptet, sie besonders gemocht zu haben. Aber es war doch etwas Seltsames, dass so etwas einer Person zugestoßen war, die er, wenn auch nur flüchtig, persönlich gekannt hatte, und dass es ihr sozusagen vor seinen Augen zugestoßen war – das machte die Angelegenheit noch schockierender für ihn, etwas, was er nicht begreifen konnte. Und weil es sich unmittelbar nach dem Entsetzlichen ereignet hatte, das Fargas zugestoßen war, erschien es Sam fast unerträglich.
»Na ja, jedenfalls wissen wir jetzt, dass sie wohl nicht der Insider gewesen sein konnte«, meinte Dodge mit einem Anflug von schwarzem Humor.
Die Türen schlossen sich hinter den Sanitätern und der Trage, und nach ein paar Augenblicken, in denen alle zögernd und verlegen herumstanden, kehrte das Team wieder an die Arbeitsplätze zurück. Manche begannen sofort wieder zu arbeiten, andere unterhielten sich leise über das, was geschehen war.
»Komm mit mir«, sagte Dodge und griff nach dem Alu koffer mit der Feldausrüstung, der unter seinem Schreibtisch gestanden hatte.
Sam wollte fragen, wohin, aber das war nicht mehr nötig. Dodge steuerte bereits auf den Sumpf zu.
Er stand zögernd auf und folgte ihm. Seine Knie fühlten sich schwammig an. Als er in das Büro trat, hatte Dodge bereits seine Ausrüstung angeschlossen und klonte die Daten der großen Tower-Workstation, die unter dem Schreibtisch der Sumpfhexe stand.
Im Büro roch es ein wenig feucht und modrig, wie Sam fand, oder bildete er sich das nur ein? Mitten im Raum stand ein L-förmiger Schreibtisch, an dem sie gearbeitet hatte. Die großen Glasfenster ermöglichten einen perfekten Rundblick über das gesamte Kontrollzentrum, darunter standen Bildschirme ringsum an den Wänden, auf denen man verfolgen konnte, woran die einzelnen Teammitglieder gerade arbeiteten.
Die beiden ersten Monitore, auf die Sams Blick fiel, spiegelten die Inhalte seiner eigenen und Dodges Workstations. Ein leichtes Unbehagen beschlich Sam, als er nun mit eigenen Augen sah, dass jeder Befehl, den er an diesem Nachmittag eingegeben hatte, und jeder Tastendruck von der Sumpfhexe beobachtet worden war.
Die Sumpfhexe schien zu den Personen zu gehören, die gerne in totalem Durcheinander arbeiteten. Überall lagen Papierfetzen und lose Blätter, vermischt mit
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