Angriff Aus Dem Netz
die Schultern. »Wir haben drei verschiedene Ereignisse, die innerhalb von drei Tagen abliefen, und bei keinem haben wir auch nur eine Vermutung, wie es geschehen konnte oder wer die Täter sind. Vienna und Kiwi beschäftigen sich bereits mit den Webseiten für Online-Spiele. Ihr beide werdet euch mit den Spam-Servern befassen. Wenn es eine Verbindung zu den Terroristen gibt oder zu diesem ›Phantom‹, will ich es sofort erfahren.«
»Wir sind schon unterwegs, Chef«, sagte Dodge, und beide standen auf.
»Sam, noch einen Augenblick«, sagte Jaggard.
Sam ließ sich langsam wieder auf den Stuhl sinken.
Jaggard wartete, bis Dodge die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sagte er: »Ich muss mal ein Wort mit Ihnen allein reden.«
»Hat es was mit meiner Probezeit zu tun?«, fragte Sam besorgt.
Jaggard schüttelte den Kopf. »Die Probezeit? Nein, die ist kein Problem. Wir brauchen Sie hier.«
Sam sagte nichts, sondern schaute Jaggard nur aufmerk sam an. Er bemühte sich, keine Miene zu verziehen, obwohl in ihm plötzlich Stolz aufstieg, dem aber sofort eine unerklärliche Angst folgte.
»Ihre Mutter hat sich mit uns in Verbindung gesetzt«, sagte Jaggard. »Die Mitteilung wurde von den Behörden in New York an uns weitergeleitet.«
Sams Ängste wurden stärker. »Geht es ihr gut?«, fragte er besorgt.
»Ihr geht es gut. Es geht nicht um sie. Es geht um einen gewissen Derek Fargas.«
»Fargas?« Sam hätte sich am liebsten selbst in den Hintern getreten. Eigentlich hätte er schon längst Kontakt mit Fargas aufnehmen sollen, aber irgendwie war immer etwas dazwischengekommen, wie die Sache mit den Terroristen und dem Phantom. Aber Fargas würde das doch bestimmt verstehen, oder? Wenn Sam es ihm erst einmal erklärt hatte . . .
»Wie gut kannten Sie ihn?«, fragte Jaggard.
Sam öffnete schon den Mund, um zu antworten, dann schloss er ihn schnell wieder. Sein Atem stockte.
Jaggard hatte nicht gefragt: »Wie gut kennen Sie ihn?«
Sondern kannten – Vergangenheitsform.
Als Sam geschockt, verwirrt und traurig an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, fand er neben der Tastatur einen unbeschrifteten Karton vor, in dem sich sein neues Neuro-Headset in der spezifischen CDD-Ausführung befand. Er setzte sich und betrachtete das Set von allen Seiten. Es glich der Version mit den plastiküberzogenen Bügeln, die er und Dodge auch schon in Chicago benutzt hatten. Er suchte nach dem Typenschild und stellte fest, dass es sich um ein Neuro-Sensor Pro 3.1 handelte. Ein riesiger Fortschritt gegenüber der 1.2-Version, die er von Telecomerica geordert hatte. Er warf einen Blick ringsum: Die Hälfte des Teams hatte die Sets bereits auf dem Kopf.
Bashful und Gummi Bear, die links von Sam saßen, »starrten« ins Leere, aber mit geschlossenen Augen, und lachten sich über irgendeinen Witz halb tot, den nur sie beide hörten. Socks trug ebenfalls ein Headset, aber Zombie schien Probleme beim Aufsetzen zu haben. Immer wieder nahm er es ab und führte kleine Anpassungen an den Bügeln durch.
»Alles okay bei dir?«, fragte Dodge.
»Ja . . . ja, alles okay«, antwortete Sam zögernd, denn eigentlich fühlte er sich überhaupt nicht okay. Die Neuigkeit, die er über Fargas erfahren hatte, war wie ein heftiger Tritt in den Magen, ein schwerer Schlag, der ihm buchstäblich den Atem nahm. War er, Sam, nicht verantwortlich für das, was geschehen war?
»Du siehst bleich aus«, bemerkte Dodge besorgt.
»Mir geht’s gut«, sagte Sam abweisend. »Fangen wir an.«
Den größten Teil ihrer Schicht verbrachten sie damit, in den dunklen Seitengassen des Internets herumzuschnüffeln, dort, wo sich die Spammer, die Spieler, die Scammer und die Phisher gewöhnlich herumtrieben.
Doch die Adressen, an denen sie eigentlich das übliche Gedränge von zwielichtigen oder betrügerischen Webseiten, gefälschten Codes und gestohlenen Passwörtern erwartet hätten, waren leer. Die schmuddeligen Bars und Hinterhöfe des World Wide Web waren verlassen.
Es war, als seien die Auswüchse und Krebsgeschwüre am dunklen Bauch des Internets einfach weggeschabt worden.
Was war geschehen? Wer war das? Wie hatten sie es gemacht? Fragen über Fragen, aber keine Antworten.
Immer wieder schob sich Fargas in Sams Gedanken, und mehrmals musste er seine Tränen wegwischen. Einmal bemerkte er, dass Dodge ihn mit seltsamem Gesichtsausdruck anstarrte, aber nichts sagte, was Sam nur recht war.
An diesem Nachmittag schaute Sam häufiger als sonst auf die Uhr; der
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