Angriff Aus Dem Netz
groß gewachsen sind? Und Menschen haben auch alle möglichen Vorurteile. Wie viele Menschen mit demselben Vorurteil sind nötig, bis dieses Vorurteil das kollektive Bewusstsein zu beherrschen anfängt? Ein Bewusstsein, das dann Ursula dazu bringt, es eliminieren zu wollen?«
»Wir müssen die Öffentlichkeit warnen!«, sagte Sam heftig. »Wir müssen den Leuten klarmachen, dass sie die Neuro-Verbindungen nicht mehr benutzen dürfen.«
»Damit würden wir doch nur eine ungeheure Panik auslösen!«, wandte Vienna ein.
»Je mehr Leute sich einloggen, desto mächtiger wird sie«, beharrte Sam. »Wir müssen sie warnen!«
»Was wir wirklich machen müssen, ist, einen Weg hier rauszufinden«, widersprach Vienna heftig. »Wir müssen verschwinden, bevor sie herausfinden, wo wir sind.«
Dodge tastete nach dem kleinen Totenkopf, der immer noch an der dünnen Kette um seinen Hals hing. »Ich glaube, es ist höchste Zeit, die Pest loszulassen.«
9. Das Pestvirus
»Ich nenne es ›Pest‹«, flüsterte Dodge, damit Gordon nicht zuhören konnte. »Es ist eigentlich ein Kryptovirus. Vermutlich unsere letzte Chance.«
Sie hockten eng beieinander in einer Ecke des Büros, außerhalb Gordons Hörweite.
»Ein Kryptovirus?«, fragte Sam verwundert und entsetzt zugleich.
Vienna nickte: »Ich glaube, ich hab mal gelesen, dass zwei Typen namens Young und Yung auf diesem Feld gearbeitet haben.«
»Man kann sagen, die Pest ist eine Art Verschlüsselungsvirus.« Dodge nahm den Totenkopf von der Halskette und zog die Kinnlade heraus. Dahinter wurde ein USB3-Stick sichtbar.
»In dem Stick hier ist das hässlichste, tödlichste, giftigste Stückchen Code gespeichert, das du dir überhaupt nur vorstellen kannst«, sagte er. »Ich habe den Code vor ungefähr zwei Jahren geschrieben und seither immer weiter verfeinert. Er begleitet mich auf Schritt und Tritt, aber ich habe immer gehofft, dass ich nie in eine Situation geraten würde, in der ich gezwungen wäre, ihn anzuwenden.«
»Eine Situation wie jetzt«, sagte Vienna.
Dodge nickte. »Die Pest verschlüsselt alles, was ihr in den Weg kommt. Eine gesicherte 2048-bit-Verschlüsselung. Das Virus kann es noch lesen, weil es einen eingebauten Schlüssel für die Dechiffrierung besitzt, aber nichts anderes kann das. Ein Rechner wird also völlig unbrauchbar, nur eben nicht für das Virus. Es vervielfältigt sich und breitet sich aus. Es operiert auf der Ebene von Mikropro grammen, noch unterhalb des Maschinencodes, und deshalb spielt es auch gar keine Rolle, welches Betriebssystem auf dem Computer installiert wurde. Stößt es auf eine Firewall, verschlüsselt es auch diese und marschiert dann einfach hindurch. Auch die Back-up-Dateien . . . eben einfach alles.«
»Dodge«, sagte Vienna langsam, »dir ist doch hoffentlich klar: Wenn du dieses . . . Ungeheuer von der Leine lässt, wird es die gesamte Computer-Infrastruktur der Vereinigten Staaten von Amerika vernichten.«
»Nein«, sagte Dodge bitter, »der gesamten Welt! Eine Zeit lang war es mir sogar zu gefährlich, auch nur darüber nachzudenken, was dann geschehen würde. Aber natürlich musste ich irgendwann darüber nachdenken, deshalb habe ich es später modifiziert. Ich habe eine Sicherung eingebaut. Ein Zeitlimit. Nach genau vierundzwanzig Stunden kehrt es sich in sein Gegenteil um. Dann beginnt es wieder, alles zu entschlüsseln. Es verbreitet sich genauso wie zuvor, aber dieses Mal entschlüsselt es alles, was ihm in den Weg kommt.«
»Und – was hast du damit vor?«, fragte Vienna.
»Ganz einfach«, antwortete Dodge. »Wir lassen das Virus hier von der Leine. Injizieren es den Computern hier in diesem Raum. Wir geben ihm eine Stunde oder so, damit es sich richtig ausbreiten kann, und machen uns dann aus dem Staub, während überall die Netzwerke abstürzen. Die Pest gibt uns ein Zeitfenster von vierundzwanzig Stunden, um unterzutauchen. Dann wird alles wieder hochgefahren.«
»Und was ist dann?«, fragte Vienna.
»Weiß ich nicht«, gab Dodge zu und zuckte die Schultern.
»Könntest du den Code noch mal umschreiben?«, fragte Sam. »Das Zeitlimit herausnehmen?«
Dodge nickte, wandte aber ein: »Das wäre aber viel zu gefährlich. Was wäre, wenn es unbegrenzt losgelassen würde?«
»Was wäre, wenn wir es hier loslassen würden?«, fragte Sam. »Ich meine, was würde passieren, wenn wir die zeitlich unbegrenzte Vollversion gegen Ursula loslassen würden?«
Vienna unterdrückte mühsam einen Aufschrei.
»Damit
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