Angst auf der Autobahn
was ein leichtes Zurückzucken hervorrief.
Alter Esel! dachte Gaby,
lächelte aber ohne Falschheit. Denn Wichtigmann galt als wirklich umgänglich,
und die Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium verlief ohne Reibung.
Wichtigmann holte schon tief
Luft, um Charme zu versprühen, aber dazu ließ es Margot nicht kommen.
„Sehen Sie, wie bleich wir
sind? Mit knapper Not sind wir einer Gefahr entkommen.“ Margot erzählte.
Der 2. Bürgermeister staunte
fassungslos. Dann packte ihn der Schreck.
„Bei dem Rastplatz auf der
Anhöhe, sagen Sie? Um Himmels willen! Durch den Hängelwald ist es nur ein
kurzes Stück bis... bis zu meiner Hütte. Meiner Jagdhütte. Dort ist Jörg. Mein
Sohn. Ganz allein ist er dort. Sicherlich spielt er am Bach. Er soll natürlich
in der Hütte warten. Aber wie Jungs so sind... Ich wollte nur rasch einkaufen,
weil wir am Wochenende mit der ganzen Familie... Verdammt! Ich muß sofort hin.
Wiedersehen, gnädige Frau! Tschüs, Gaby!“
Er rannte zum Jeep.
4. Verwahrt seit 15 Jahren
,An-der-Schwemme’ ist eine
schäbige Straße im Stadtteil Borkling, wo in den Mauern alter Häuser der
Schwamm wächst, Kellerräume Schimmel ansetzen und die Dächer neue Ziegel
brauchten. Aber Renovierungen oder Abrisse sind hier nicht angesagt. Alles darf
verlottern.
Tim, Karl und Klößchen fuhren
zum zweiten Mal auf ihren Bikes durch die enge Straße, die keine Gehsteige besitzt,
aber zahllose Schlaglöcher.
„Hier wohnt keiner vom
Stadtparlament“, meinte Computer-Karl. „Deshalb wird die Straße nicht gemacht.
Ist ja schlimmer als auf dem Balkan.“
„Hm.“ Tim hob die Schultern.
„Wie? Was?“ fragte Klößchen,
der hinten radelte und nichts verstanden hatte. „Leute, die Schlaglöcher nerven
mich. Und mich nervt, daß wir Nummer 48 a nicht finden.“
„Hier gibt’s keine
Hausnummern“, grinste Karl. „Hier weiß jeder, wo er wohnt, und der Briefträger
weiß es auch.“ Doch dann erspähte Tim einen Torbogen, der ein dreistöckiges
Fachwerkhaus unterwölbte und nach hinten führte. Im Torbogen war das Schild
angebracht: 48a.
Die Jungs fuhren durch das
Durchhaus, gelangten aber nicht auf die Parallelstraße, sondern stoppten in
einem ausgedehnten Hinterhof, den die Rückseiten drei- und vierstöckiger Häuser
umgrenzten. Fahrräder standen hier. Drei Autos parkten. Müll- und Biotonnen
bildeten eine Reihe.
Übermäßig laut sagte Tim: „Hier
sind wir falsch, Freunde. Das Mädchen hat dich veräppelt, Johannes. Nie und
nimmer wohnt sie hier. Sie trug Designer-Klamotten und ist Mitglied im
Reitclub. Gehen wir!“
Hoffentlich wirkt das
unverdächtig, dachte Tim. Schlimm genug, daß Spelter uns sieht.
Dennis Blots hatte Tim das Foto
von Horst Spelter gezeigt. Ein Foto, aufgenommen mit versteckter Kamera vor
drei Wochen in der Strafanstalt in R.; Dr. Finkwalzer hatte es Glockner
geschickt, und ein Dutzend Abzüge lagen jetzt vor.
Spelter, 39, 181 cm, Augenfarbe
schwarz, Haarfarbe schwarz, Frisur mittellang und links gescheitelt, ovales
Gesicht mit kräftiger Stirn, lückenhaftes Gebiß, jünger aussehend als 39 —
dieser Spelter, der seit heute eine Wohnung hatte in ,An-der-Schwemme’ 48 a,
stieg soeben in einen der Wagen.
Es war ein blauer Mercedes,
fast neu. Er paßte nicht hierher. Die beiden anderen Fahrzeuge würden den
nächsten TÜV nicht mehr passieren. Der Mercedes sah nach Leihwagen aus —
zumindest war das zu vermuten.
Spelter hatte seinen Wagen
gestartet und rollte vorsichtig, rückwärts manövrierend, aus der Parklücke
zwischen den beiden Rostlauben heraus. Ja, 15 Jahre ohne Fahrpraxis — da mußte
man aufpassen. Aber Spelter hatte offenbar keine Probleme.
Die Jungs fuhren zur Straße.
Instinktiv bog Tim rechts ab. Das war die Richtung zur Altstadt, zur Adresse
der Glockners.
„Habe mir gerade überlegt, ob
ich Johannes heißen möchte“, meinte Klößchen. „Eher nicht. Ist irgendwie zu
biblisch. Das ist er also“, er meinte Spelter, „die Kälte, die der ausstrahlt,
habe ich durch mein Wams gespürt.“ Sein ,Wams’ war ein Windbreaker mit Kapuze.
„Aber als Typ ist er nichts besonderes, wie? Unauffällig. Und so einer will
Gaby und ihre Mutter vernichten. Falls er das will. Heh, da kommt er. Fährt in
dieselbe Richtung.“
Tim hatte Spelters Wagen schon
im Rückspiegel entdeckt und fuhr langsam, nicht zu langsam, aber so, daß er
überholt werden konnte von einem, der sich nach 15 Jahren Knast wieder aufs
modernste aller Schlachtfelder wagt —
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