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Angst auf der Autobahn

Angst auf der Autobahn

Titel: Angst auf der Autobahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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in den Straßenverkehr, wo die Chance zu
verbleichen oder verstümmelt zu werden, Jahr für Jahr statistisch in Zahlen gefaßt
wird, was sich dann auf die Prämien der Kfz-Versicherungen auswirkt.
    Spelter fuhr vorbei.
    Tim blickte hin.
    Der Ex-Knasti wirkte
angespannt, saß vorgebeugt und umspannte das Lenkrad mit beiden Händen. Es
waren knochige Hände, unnatürlich groß. Plötzlich schien Spelters Instinkt was
zu spüren. Der Mann wandte ruckartig den Kopf und starrte Tim an.
    „Wir sind aufgefallen“, sagte
der TKKG-Häuptling über die Schulter nach hinten.
    „Das liegt an deinen
aggressiven Gedanken.“ Klößchen gluckste. „So ein Sensibelchen wie Spelter
spürt das. Der merkt, daß man ihn nicht leiden kann, und hat deshalb Nacht für
Nacht in sein Kopfkissen geweint. 15 Jahre lang. Denk daran, wenn du ihn
häutest und an die Wand nagelst, Tim.“
    „Vorläufig beobachten wir ihn
nur.“
    „Woher hat er den Wagen?“
fragte Karl.
    „Sicherlich ein Leihwagen. Der
Führerschein gilt noch.“
    „Woher hat er das Geld dafür?“
    „Das möchte ich auch wissen. 15
Jahre Tütenkleben macht nicht reich — selbst dann nicht, wenn er alles gespart
hat.“
    Spelter fuhr sehr langsam.
Außerdem war alle naselang eine Ampel auf Rot geschaltet.
    Tim hielt Abstand, ließ ein
oder zwei Fahrzeuge zwischen sich und dem blauen Mercedes.
    Sie fuhren Richtung Innenstadt,
der frühe Nachmittag war heiß, auf den Straßen ging’s zu wie zur rush hour.
    Spelter schien technisch begabt
zu sein, oder er hatte in seiner Zelle das Autofahren geübt, und zwar mental,
also im Bewußtsein, wobei man sämtliche Situationen und Handgriffe durchgeht,
was dann — in der Praxis — im Gehirn die richtigen Impulse auslöst.
Hochleistungssportler üben so, ergänzend, üben sozusagen im Sessel sitzend
Karate oder Stabhochsprung oder alpinen Abfahrtslauf.
    Spelter fuhr zur Mitterrahmer
Straße und hielt vor Nummer 21, einem bejahrten Reihenmittelhaus. Der Vorgarten
war so groß wie ein Badelaken, aber einige Primeln gediehen.
    Die Jungs hielten hinter einem
Kastenwagen, vier Autolängen entfernt. Das Versteck war tauglich. Offenbar
hatte Spelter die Verfolger nicht bemerkt.
    Er stieg aus, ging zur Tür des
Mittelhauses und klingelte.
    Die Straße war still. Wenig
Verkehr. Eine Kette von Reihenhäusern.
    Bei Nummer 21 wurde die Tür
geöffnet. Eine Frau blickte heraus. Sie mochte 70 sein, hatte graues Haar, das
ihr strähnig auf die Schultern fiel. Ein Gesicht voller Falten. Dazu hatte
sicherlich die Nikotinsucht beigetragen. Im Mundwinkel schuckelte eine
Zigarette. Die Art, wie die Frau redete und gleichzeitig freihändig rauchte,
verriet Übung.

    „Ja?“
    „Guten Tag“, grüßte Spelter.
„Ich bin Horst Spelter. Bin mit Ihrem Sohn Karsten befreundet. Schon vor 15
Jahren sind wir befreundet gewesen. Damals hat er etwas für mich verwahrt. Da
er ja inzwischen einsitzt, kann er’s nicht mehr verwahren, hat’s aber
rechtzeitig Ihnen übergeben, Frau Willert. Damit Sie’s mir aushändigen, wenn
ich komme. Hier bin ich.“
    Eine Stimme ohne Ausdruck,
dachte Tim. Kalt wie aus einem Automaten. Etwas schleppend, gelangweilt.
Spricht Hochdeutsch wie jemand, der sich darum bemüht.
    „Ach so!“ sagte die Frau. „Ja,
ich weiß. Aber ich kenne Sie nicht. Karsten hat’s mir erzählt. Er ist ja nun
auch schon sieben Jahre... Sie haben ihn im Gefängnis kennengelernt, ja?“
    „Nein, vorher. Ich sagte es.
Vor 15 Jahren. Damals war er 23. Ich hatte ihm geholfen. Wir wurden Freunde.“
    Die Stimme hatte sich kaum
verändert, war nur etwas schärfer geworden und etwas ungehalten.
    „Können sie sich ausweisen,
Herr Spelter?“
    „Hier.“
    Offenbar zeigte er ihr seinen
Paß.
    „Danke, ich hol’s. Augenblick!“
    Sie bat ihn nicht herein. Er
blieb stehen, wo er stand, rührte sich nicht, wirkte locker, schien nur die
Augen zu bewegen. Die Jungs äugten um die Heckkante des Kastenwagens.
    Hoffentlich fährt jetzt keiner
ab mit der Kiste, dachte Tim. Dann wären wir entdeckt.
    Die Frau, die Willert hieß, kam
zurück und brachte eine kleine Metallkassette.
    „Den Schlüssel habe ich nicht.“
    „Den habe ich. Danke!“ Er
wollte sich abwenden, aber ihm fiel noch etwas ein. „Wenn Sie Karsten mal
wieder besuchen, grüßen Sie ihn von mir.“
    „Ja, das heißt... Ich... Also,
Sie wissen es nicht. Nein?“
    „Was weiß ich nicht?“
    „Mein Sohn ist... letzte Nacht entflohen.
Ja, ausgebrochen. Ich verstehe das nicht. Er hat doch

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