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Angst auf der Autobahn

Angst auf der Autobahn

Titel: Angst auf der Autobahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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in die Einsamkeit des Waldes. Insekten summten, Vogelstimmen
mischten sich ein. Sonst war es still.
    Er blickte unter die Bäume,
ließ das Jagdgewehr — das ihm nicht gehörte — sinken und trat einen Schritt
zurück.
    Was für ein Glück, daß er auf
diese Jagdhütte gestoßen war — so kurz nach der Pleite mit den beiden Weibern!
Die Tür stand offen. Zwei Jagdgewehre im abgesicherten Schrank — und eine
Pistole. Klamotten hingen über einem Stuhl.
    Der Waidmann — oder wem auch
immer die Elütte gehörte — mußte in der Nähe sein. Außerdem würden die Bullen,
alarmiert durch die Weiber, bald antanzen. Höchste Zeit, die Hufe zu schwingen.
    Er hatte sich eingekleidet. Die
Sachen paßten. Ein Anzug aus beigem Cord, die Jacke mit Lederflicken an den
Ellbogen und einem kleinen Ölfleck auf dem Revers.
    Willert schob die Pistole in
den Gürtel. Für die Gewehre fand er ein Versteck 100 Meter von der Hütte
entfernt, wo er beide Waffen unter dichten Büschen verbarg. Samt mehrerer
Schachteln mit Munition.
    Dann ab durch den Wald! Und
weiter! Er wußte ungefähr, wo die Autobahn verläuft. Das war seine Chance.
     
    *
     
    Er hatte helle Augen, blonde
Locken und ein Gesicht voller Sommersprossen. Er war hochintelligent. Alle
liebten ihn, was er meistens ausnutzte. Er war neun. Er log gern. Er hatte es
faustdick hinter den Ohren. Er hieß Jörg. Karl-Walter Wichtigmann, der zweite
Bürgermeister, war sein Vater.
    Auf dem Bauch schob sich Jörg
über das Ufer des Baches. Unter der Böschung standen Forellen, wie er wußte. Ob
sie jetzt da waren, diese glitschigen Flitzer?
    Er tauchte die Hand ins Wasser.
Im selben Moment bemerkte er den Mann. Er stand hinter Jörg, aber die Gestalt
wurde vom Wasser gespiegelt.
    Jörg zog die Hand zurück und
wandte sich um. Unter dem Schild seiner Baseballmütze blinzelte er aufwärts.

    „Du fängst Fische?“ fragte
Willert. Er lächelte. Aber der freundliche Ausdruck reichte nicht bis zu den
Augen.
    Der Ausbrecher war eine Strecke
gelaufen. Ein Spazierweg, den er kreuzte, sah benutzt aus. Weggeworfenes. Volle
Abfallkörbe. Eine zerfledderte Zeitung, deren Blätter runzlig waren vom Regen.
Also mußte ein Ort in der Nähe sein. Gehörte der Junge dorthin?
    „Forellen“, erwiderte Jörg.
„Regenbogen-Forellen. Die schmecken, wenn man sie brät. Oder dünstet.“
    Willert schloß den mittleren Knopf
der gestohlenen Jacke.
    Aber Jörg hatte den Kolben der
Pistole schon gesehen. An der Griffschale war ein Stück abgesplittert. Daran
erkannte er sie. Außerdem trug dieser Kerl einen Anzug seines Vaters.
    „Bist du hier aus der Gegend?“
fragte Willert.
    Jörg schüttelte den Kopf.
    „Sondern?“
    Der Junge richtete sich auf und
wich zwei Schritte zurück. „Sind Sie ein... Bulle?“
    „Ich?“ Willert lachte. „Nein.
Wieso fragst du?“
    „Aber von der Jugendfürsorge?“
    „Auch nicht.“
    Jörg nahm die Mütze ab und
kratzte sich am Kopf. „Versprochen, daß Sie mich in Ruhe lassen? Ich bin
nämlich getürmt. Ich wohne in Würzburg. Bei meinem Vater. Der ist immer
betrunken. Und hat nie Zeit für mich. Bis der merkt, daß ich weg bin, können
noch Tage vergehen. Dann bin ich schon sonstwo. Ich reise per Anhalter. Das hat
bis jetzt gut geklappt.“
    Willert hob die Brauen. „Also
ein kleiner Ausreißer. Wahrscheinlich hast du recht. Wie heißt du?“
    Jörg hielt es für besser, sich
einen Phantasienamen auszudenken. Immerhin war sein Vater 2. Bürgermeister und
Parteivorsitzender und weithin bekannt.
    „Otto Kahlig“, sagte Jörg.
„Doof, nicht wahr? Ich hieße lieber Amadeus von Falkenstein. Oder Lothar
Freiherr von Aspe.“
    „Wohl eine Vorliebe für Adel?“
    „Nö. Die sind doch alle
degeneriert, mit schwachem Mumm und müdem Grips. Aber es klingt gut. Jedenfalls
besser als Kahlig.“
    „Ich bin Hartmut Loddner. Mit
Doppel-Deh!“ Willert lächelte wie ein Zwölfmarkschein. Und streckte dem Jungen
die Hand hin. „Wie alt bist du? Elf?“
    „Satte neun, bald zehn.“ Das
entsprach der Wahrheit. „Dafür bist du groß.“
    „Fünf Zentimeter über dem
Durchschnitt.“
    Willert hatte überlegt. „Was
hältst du davon, Otto, wenn ich dich mitnehme? Dann hast du eine echte Chance.
Ein Junge, der allein trampt, fällt auf. Der nächste Bulle, der auf dich
aufmerksam wird, kassiert dich ein. Aber wenn ich dich als meinen Sohn ausgebe,
bist du sicher.“
    Und ich auch, ergänzte er in
Gedanken. Mit dem Jungen an der Hand bin ich getarnt. Mein Gesicht kann

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