Angst in der 9a
Garagentür war geschlossen.
Bevor Tarzan dort nachsah, wollte er feststellen, wer auf dem Bootssteg saß. Auf dem Herweg hatte er in die Richtung nicht einsehen können; und jetzt stand das Haus dazwischen.
Vorsichtig richtete er sich hinter dem Stamm auf. Nichts war zu hören. Mit wenigen Sprüngen erreichte er die Rückfront des Hauses. Neben einem geöffneten Fenster presste er sich an die Wand. Dann schob er den Kopf vor und blickte hinein.
Es war ein karg möblierter Raum. Die schmale Couch musste als Bett dienen. Tarzans Herz schien zu rasen, was er jetzt sah, war sein größter Triumpf:
Marco lag unter einer dünnen Decke. Sein Gesicht war weiß wie die getünchte Wand. Dass er geweint hatte, verrieten die verquollenen Augen. Jetzt schlief er. Aber es war kein normaler Schlaf. Auf einem Hocker neben dem Kopfende standen ein Wasserglas und eine braune Medizinflasche, die ein Beruhigungsmittel enthielt – wie Tarzan trotz der Entfernung lesen konnte.
Also hatte Borrello den Kleinen betäubt. Weil der bestimmt geweint und sich gewehrt hatte.
Tarzan presste die Lippen aufeinander, schlich zur Hausecke und dann an der Schmalseite nach vorn.
Als er vorsichtig um die Ecke blickte, fiel sein Blick auf eine Schrotflinte. Sie lehnte an einem Gartenstuhl, der – zusammen mit zwei anderen und einem Tisch – vor dem Haus in der Sonne stand. Zwei Gläser und zwei leere Weinflaschenauf dem Tisch verrieten, dass die beiden schon kräftig gezecht hatten.
Jetzt saßen sie am Ende des Bootsstegs, der ein paar Meter in den See hineinreichte: Borrello und ein vierschrötiger Bursche mit niedriger Stirn und breitem Gesicht. Das musste Castellani sein. Sie hatten die Hemdsärmel hochgestreift. Die nackten Füße baumelten im Wasser.
Eben sagte Castellani: »Wenn uns jemand zu nahe kommt, schieße ich ihm eine Ladung Schrot in den Wanst. Wer so einsam wohnt wie ich hier, kann sich immer auf Notwehr rausreden. Meine Schrotflinte ist geladen und stets griffbereit.«
Wie praktisch!, dachte Tarzan. Er machte einen langen Schritt und hielt das Gewehr in der Hand. Mit einem Blick überzeugte er sich, wo die Sicherung war. Alles andere kannte er.
Die beiden bemerkten ihn erst, als er auf den Steg trat. Borrellos Gesicht wurde grau wie Asche. Castellani glotzte mit offenem Mund.
»Um Irrtümern vorzubeugen«, sagte Tarzan. »Mit diesem Schießprügel kann ich umgehen. Es wäre empfehlenswert für Sie, mich in keine – echte – Notwehrsituation zu bringen. Zwar würde ich niemandem in den Wanst schießen, denn sogar Ihre Leben, Signores, sind mir heilig. Aber auch eine Schrotladung in die Füße ist kein Vergnügen. Und nun hopp! Sie gehen fünf Meter vor mir. Immer den Weg entlang zum Dorf. Marco bleibt solange hier. Er wird später geholt. Den Weg zur Dorfpolizei kennen Sie sicherlich, Signore Castellani. Dort ist unser Ziel.«
Die beiden gehorchten nicht sofort. Erst als Tarzan klickend die Waffe entsicherte, kamen sie seiner Aufforderung nach.
Borrello versuchte es mit Bestechung, bot Tarzan »so viel Geld, wie du willst!«, aber der würdigte das Angebot mit keinem einzigen Wort.
Mit der Waffe trieb er beide vor sich her. Es wurde ein langer Marsch über den sonnigen Sandweg. Auf nackten Füßen trotteten die beiden einher. Sie hatten sich in ihr Schicksal ergeben. Keiner versuchte zu fliehen, obwohl Tarzan dann gewiss nicht geschossen hätte. Ihm ging es nur darum, Marco zu seiner Mutter zurückzubringen.
Gaby, Karl und Klößchen hatten die seltsame Prozession von ihrem Standort gesichtet. Durchs Dorf kamen sie entgegen.
Tarzan rief Karl zu, er solle zum Polizeiposten laufen und dort erklären, worum es gehe. Sofort flitzte Karl los.
Gaby und Klößchen schlossen sich Tarzan an.
»Und Marco?«, fragte Gaby aufgeregt. »Ist er dort hinten?«
»Er schläft. Das heißt, sein lieber Vater hat ihn mit einem Beruhigungsmittel betäubt. Jetzt ist er allein. Fahrt hin und passt auf ihn auf. Sonst kriegt er Angst, falls er doch wach wird. Euch kennt er.«
Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Klößchen stellte Tarzans Rad an eine Hauswand, dann folgte er Gaby, die schon weit voraus war.
Auf dem letzten Stück wurden die drei von neugierigen Blicken begleitet.
Im Laufschritt kamen Karl und zwei Polizisten entgegen. Die Beamten hatten ihre Pistolen gezückt und hielten Handschellen bereit. Augenblicklich wurden die Ganoven gefesselt.
»Junge, das hast du großartig gemacht«, sagte der ältere Beamte zu
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