Angst
hochgezogen und in sein dichtes, hellbraunes Haar geschoben. Der Schein des Feuers spiegelte sich in den Gläsern, die ihr einen warnenden Blick zuzuwerfen schienen. Sie kannte ihn gut genug, um ihn jetzt nicht zu stören. Sie seufzte und ging nach oben.
Hoffmann wusste seit Jahren, dass The Expression of the Emotions in Man and Animals eines der ersten Bücher war, in das jemals Fotografien aufgenommen worden waren. Allerdings hatte er die Bilder noch nie im Original zu Gesicht bekommen. Außer viktorianischen Künstlermodellen zeigten die Schwarz-Weiß-Tafeln Insassen des Surrey Lunatic Asylum in verschiedenen emotionalen Zuständen – Trauer, Verzweiflung, Freude, Trotz, Entsetzen. Das Buch sollte eine Studie über den Homo sapiens als Tier sein: der Maske seiner gesellschaftlichen Umgangsformen beraubt, mit den instinktiven Reaktionen des Tieres. Obwohl die Modelle seinerzeit schon lange genug im wissenschaftlichen Zeitalter gelebt hatten, um daran gewöhnt zu sein, fotografiert zu werden, gaben die verdrehten Augen und schie fen Zähne ihrem Gesicht das Aussehen durchtriebener, abergläubischer Bauern aus dem Mittelalter. Sie erinnerten Hoffmann an einen kindlichen Albtraum – an Erwachsene aus einem altmodischen Märchenbuch, die mitten in der Nacht ins Schlafzimmer des Kindes eindrangen, um es aus dem Bett zu zerren und in den Wald zu verschleppen.
Noch etwas anderes irritierte ihn. Die Visitenkarte steckte zwischen den Seiten, die das Gefühl der Furcht abhandelten, als hätte der Absender seine Aufmerksamkeit gezielt darauf lenken wollen:
Der zum Fürchten gebrachte Mensch steht anfangs bewegungslos wie eine Statue und athemlos da oder drückt sich nieder, als wollte er instinctiv der Entdeckung entgehen. Das Herz zieht sich schnell und heftig zusammen, so daß es gegen die Rippen schlägt oder anstößt …
Hoffmann hatte die Angewohnheit, beim Denken den Kopf zur Seite zu neigen und ins Leere zu starren. Genau das tat er jetzt. War das Zufall? Er kam zu dem Schluss, dass es sich tatsächlich nur um einen Zufall handeln konnte. Andererseits hatten die physiologischen Auswirkungen der Angst einen unmittelbaren Bezug zu VIXAL -4, dem Projekt, an dem er gerade arbeitete. Das weckte in ihm den Verdacht, dass trotz allem mehr dahinterstecken könnte. Aber VIXAL -4 war streng geheim, es war nur seinem Forschungsteam bekannt. Obwohl er sorgfältig darauf achtete, seine Leute gut zu bezahlen – 2 50 000 Dollar Anfangsgehalt plus wesentlich mehr an möglichen Boni –, war es doch sehr unwahrscheinlich, dass einer von ihnen 15 000 Dollar für ein anonymes Geschenk ausgeben würde. Eine Person jedoch kannte er, die sich einen solchen Betrag locker leisten konnte, die alles über das Projekt wusste und die auch den Witz in einem solchen Geschenk gesehen hätte – wenn es das war: ein kostspieliger Witz. Das war sein Geschäftspartner Hugo Quarry. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie spät es war, rief er ihn an.
»Hallo, Alex, was gibt’s?« Selbst wenn Quarry die Störung kurz nach Mitternacht merkwürdig vorgekommen wäre, so hätten seine makellosen Manieren es ihm nie erlaubt, sich etwas anmerken zu lassen. Außerdem hatte er sich an Hoffmanns Eigenheiten gewöhnt. Er nannte ihn den »verrückten Professor« – von Angesicht zu Angesicht wie auch hinter dessen Rücken. Es machte einen Teil seines Charmes aus, dass er bei jedem den gleichen Umgangston anschlug, öffentlich wie privat.
Hoffmann, der immer noch den Abschnitt über die Furcht las, sagte zerstreut: »Oh, hi. Sag mal, hast du mir ein Buch gekauft?«
»Glaube nicht, alter Junge. Warum? Hätte ich es tun sollen?«
»Jemand hat mir eine Darwin-Erstausgabe geschickt, und ich weiß nicht, wer.«
»Hört sich ziemlich kostspielig an.«
»Und ob. Du weißt, wie wichtig Darwin für VIXAL ist, deshalb habe ich gedacht, dass du vielleicht …«
»Tut mir leid. Vielleicht einer unserer Kunden? Als kleines Dankeschön, und er hat vergessen, eine Karte beizulegen? Die haben weiß Gott einen Haufen Geld durch uns gemacht.«
»Ja, möglich … Okay, entschuldige die Störung.«
»Schon gut. Also dann, bis morgen früh. Großer Tag morgen. Eigentlich ist es ja schon morgen. Du solltest jetzt im Bett liegen.«
»Ja, bin schon unterwegs. Nacht.«
Wenn die Furcht auf den höchsten Gipfel steigt, dann wird der fürchterliche Schrei des Entsetzens gehört. Große Schweißtropfen stehen auf der Haut. Alle Muskeln des Körpers werden
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