Drei Frauen und los: Roman (German Edition)
1
Drei Stunden südlich von Baltimore. Ungefähr sechs Uhr abends. Dritter Juni.
Zwei junge Frauen stehen am Rand einer Landstraße. Sie wissen nicht, wohin sie führt. Einfach so sind sie an irgendeiner Ausfahrt von der Interstate abgefahren und dann zweimal abgebogen. Sie sind unterwegs nach Süden, aber ohne genaues Ziel.
Hübsch, wie sie sind, würden Autofahrer für sie anhalten, allerdings kommen hier keine Autos vorbei. Lana trägt löchrige Jeans, ein T-Shirt und Jellies, diese flachen Plastikschuhe. Tracee hat ein Hochzeitskleid an und einen Schleier im Haar. Sie hat stundenlang geweint, bis ihr die Tränen ausgegangen sind. Jetzt schnieft sie nur noch, und ihre Nase ist rot. Ihr Kleid passt nicht zu den Schuhen, aber das sieht man nicht, weil die schulterfreie Robe, eine atemberaubende Woge aus Satin, Perlenstickerei und Spitze, bis zum Boden reicht. Auch wenn sie den Saum hochhält – sie umklammert den Rockstoff an den Seiten und zieht ihn nach oben, sodass er um ihre Hüften große Falten wirft –, verdeckt ihr weiter Rüschenunterrock die schwarzen Plateausandalen.
Das Auto, ein alter Mustang, hat einen Platten.
Lana schlüpft aus einem Plastikschuh und klatscht ihn gegen ihren Oberschenkel, um die Kieselsteine loszuwerden. Am liebsten würde sie schimpfen – sich mit einem ganzen Schwall unanständiger Wörter Luft verschaffen, so ein Elend ist das mit dem Reifen, ein Albtraum, aber sie darf nichts Ordinäres sagen, denn sie hat damit aufgehört, nachdem … Nun, es hat sich herausgestellt, dass man, wenn man mit einer Sache aufhört, auch mit anderen aufhören muss. Das Aufhören wird zur Sucht. Nicht nur, dass sie schon seit fünf Monaten und zwei Tagen keinen Alkohol mehr trinkt, sie lebt auch seit einundzwanzig Tagen ohne Pepsi und hat seit sechs Tagen nicht ein Mal »Scheiße« gesagt. Das Ergebnis ist, dass sie sich sauberer fühlt, wie frisch aus der Badewanne. Aber umso mehr ernüchtert. Und gereizt. Während sie den platten Reifen ansieht, knabbert sie kraftvoll am Nagel ihres kleinen Fingers.
»Ich dachte gerade«, sagt Tracee, »meinst du nicht, dass J. C. vielleicht …«
»Ich will nichts mehr über ihn hören. Er ist ein Idiot. Ein Arschloch.« Lana überlegt, ob »Arschloch« ein unanständiges Wort ist. Möglicherweise. Irgendwie schon. Zumindest fast. »Ich fluche wieder.«
»Aber du trinkst keinen Alkohol.«
»Dieser Typ ist ein Scheißkerl.« Jetzt ist es offiziell. Sie benutzt wieder unflätige Wörter. »Ich meine es ernst. Mir fallen schon die Ohren ab. Bitte, ich flehe dich an. Vergiss ihn einfach. Schon wie er daherredet!«
»Was?«
»›Leck mich am Arsch‹ geht ja noch, das sagt jeder, na gut, klingt cool, aber ›Netter Arsch‹ ist keine Begrüßung, und ›Pass auf deinen Arsch auf‹ heißt nicht ›Auf Wiedersehen‹. Doch das ist gar nicht das Problem, das hört sich vielleicht nur für mich beleidigend an. Zu deinem Geburtstag hat er dir ein Lotterielos geschenkt, das schon freigerubbelt war.«
Tracee erinnert sich. Wie könnte sie auch jemals vergessen, wie J. C. durchs Zimmer getanzt ist, ein Grinsen im Gesicht, und sie neugierig gemacht hat auf das, was in seiner Hemdentasche steckte. »Immerhin hat er an mich gedacht.«
»Wieso an dich gedacht? Es war eine Niete, und es war schon freigerubbelt. Wo ist da der Gedanke?«
Der Gedanke? Er hat sich etwas dabei gedacht, das weiß Tracee genau. Wie hat er es noch erklärt? Es wird ihr gleich wieder einfallen, aber solange Lana auf sie einredet, seufzt sie nur.
»Du warst praktisch sein Dienstmädchen«, sagt Lana.
»Ich mag den Waschsalon. Ich mag den Geruch.«
»Magst du auch den Geruch des Supermarkts und des Staubsaugers?«
»Tut mir leid«, sagt Tracee.
»Warum entschuldigst du dich?«
»Tut mir leid«, sagt sie, um sich für die Entschuldigung zu entschuldigen. Sie wackelt mit dem Oberkörper, damit ihr Kleid nicht nach unten rutscht. Das trägerlose Bustier droht ihr vom Busen zu gleiten, aber wenn sie den Rock loslässt, um das Oberteil zu richten, schleift der Saum am Boden und wird schmutzig. »Könntest du das da vorne mal hochziehen?«, bittet sie Lana.
»Klar.« Lana zieht kräftig am Stoff zwischen Tracees Brüsten und wendet sich dann wieder dem Reifen zu. Sie tritt ein paar Schritte zurück, um das Problem aus der Dis tanz zu betrachten. »Mir war nie klar, wie platt so ein platter Reifen ist. Er sieht aus, als ob er unten geschmolzen wäre.« Sie geht nach hinten zum Kofferraum und
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