Angstblüte (German Edition)
der sicheren Seite zu sein.
Als der Doktor kam und die Werte eintrafen und das neue EKG gelesen worden war, sagte Karl, daß er jetzt gehen könne und gehen wolle. Der Doktor war voller Verständnis. Karl mußte nur unterschreiben, daß er sein Gehen selber verantworte.
Im Warteraum saß, unter Angehörigen schwererer Fälle, Joni. Sprang auf, als sie ihn sah. Und hielt ihm seine Jacke entgegen. Wahrscheinlich genierte auch sie sich für seine Hosenträger. Die Jacke war naß. Karl bestellte ein Taxi. Draußen der Sommerabend über der frisch geduschten Stadt.
Joni sagte: Mensch, du.
Karl sagte: Entschuldige.
Joni sagte: Red kein’ Mist, Mensch.
Du hättest keinen Notarzt rufen dürfen, sagte Karl.
Das habe der Polizist getan, als sie bat, ein Taxi rufen zu dürfen, weil es ihrem Mann nicht gutgehe.
Hast du gesagt meinem Mann , fragte Karl.
Hab ich, sagte sie.
Zum Taxifahrer sagte Karl: Königshof, bitte. Und auf Jonis Blick: Das müssen wir feiern. Ja! Daß du gesagt hast meinem Mann.
Nicht erwähnen konnte er jetzt, wie oft er in den letzten drei Stunden gehört hatte: Die junge Dame. Und: Ihre Begleitung. Keiner hatte gesagt: Ihre Frau. Das war die Erfahrung dieses Tages. Die Lehre. Das war eine Volksabstimmung. Ergebnis: Die junge Dame, Ihre Begleitung.
Joni sagte: Der Wettersturz.
Karl nickte.
Der Taxifahrer sagte, in der Innenstadt habe es nicht gehagelt.
Er rief Helen an, um zu sagen, sie solle nicht warten auf ihn.
Wie immer, sagte sie.
Hat es dort gehagelt, fragte er.
Gehagelt, wo, sagte sie.
In der Straße, sagte er.
Hast du getrunken, sagte sie.
Ja, sagte er.
Bis nachher, sagte sie.
Der Ober führte Joni und ihn genau zu dem runden Tisch, an dem er mit Diego und Gundi gesessen hatte, als Diego ihn Gundi vorstellen wollte. Joni bestellte Hausgebeizten Lachs, Fasan mit Trüffeln und Polenta. Danach etwas mit Mango-Creme. Karl, Tafelspitz.
Joni sagte: Schau, wer da drüben sitzt, nicht hinschauen, nur hinschielen.
Karl tat’s. Erkannte niemanden.
Der Beckmann, sagte sie.
Karl tat, als wisse er, wer das sei. Er hatte keinen Appetit. Nur Durst.
Joni bedauerte, daß sie jetzt nicht Broccoli mit gerösteten Pinienkernen und Karottenwürfeln, durchwirkt von Zitronensaft, und Nudeln mit Kurkuma, Salbeiblättern und Kapuzinerkresseblüten aßen.
Karl nickte. Zum ersten Mal reagierte er auf Joni nicht wortreich. Nachher, drunten, sagte er: Gute Nacht, Joni.
Er ließ das Taxi zum Bogenhausener Krankenhaus fahren, meldete sich bei dem Arzt, bei dem er unterschrieben hatte, daß er nicht bleiben wolle, und sagte, er glaube jetzt, es sei besser zu bleiben.
Der Arzt sagte: Der Sieg der Vernunft.
Aber über was, sagte Karl.
Der Arzt: Über das Leben. Er glaube, sagte er, morgen sei eine Katheteruntersuchung angebracht, dann vielleicht übermorgen, wenn sich herausstelle, daß die Durchblutungsstörung an der linken Seitenwand anhalte, eine Dilatation. Ob Karl davon schon gehört habe.
Ja, ein kleiner Ballon wird hineingeschickt, daß er die Gefäße dehne, sagte Karl.
Richtig, sagte der Arzt. Und wenn sie wieder zusammenfallen wollen, schieben wir einen Stent hinein, der sorgt dafür, daß die Gefäße offenbleiben.
Karl hatte um ein Einbettzimmer gebeten. Das Zimmer war groß genug für zwei Betten, das zweite Bett schoben sie hinaus.
Er rief Joni an. Besetzt.
Er rief Helen an und sagte ihr auf die Box, daß er im Krankenhaus sei. Nur zur Sicherheit. Mehr zur Diagnose als zur Therapie.
Eine halbe Stunde später rief Helen zurück. Das habe ich kommen sehen, sagte sie.
Hellseherin, sagte er.
Du bist nicht mehr bei dir selbst, sagte sie.
Er sagte, er fühle sich jetzt so matt, er bitte, ihm jede Antwort zu erlassen. Zur Besorgnis gebe es keinen Grund. Bis morgen.
Joni war immer noch besetzt. Was ihn jetzt an Joni denken ließ, war immateriell. Er konnte es nicht anders benennen. Diego hätte es wahrscheinlich geistig genannt. Hatte er sie heute verloren? War das die Gelegenheit zu lernen, daß nichts möglich sei? Sollte er das in dieser Nacht lernen? Also die ganze Nacht das Handy kein einziges Mal mehr abhören. Wenn du das schaffst.
Um 1 Uhr 45 hörte er sein Handy ab. Joni hatte um 0 Uhr 45 draufgesprochen. Da waren gerade die Schwester und der Pfleger dagewesen, die das zweite EKG und die zweiten Puls- und Blutdruckwerte zu registrieren hatten.
Daß du keine Aussicht hast, weißt du. Die junge Dame. Ihre Begleitung. Du machst weiter, als hättest du eine Aussicht. Du
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