Angstblüte (German Edition)
ein Massenmensch bist, dann dadurch, daß du Geschlechtsverkehr betreibst, als handle es sich um das Komponieren der Matthäus-Passion.
Er nahm sich vor, sich nicht an das zu halten, was er sich vorgenommen hatte. Legte sich auf sein Sofa, um zu überlegen, wie er die Nacht verbringen sollte. Und schlief ein. Und träumte. Träumte, er liege in einem Netz, im Gepäcknetz eines Zugwaggons, aber im Freien. Von unten kommen Hände, viele, sein Name wird gerufen, es geht gegen ihn. Die wollen nicht irgend jemanden, sondern nur ihn. Die Hände erreichen ihn, er kann sich nicht bewegen, gleich werden die Hände ihn haben, er versucht noch zu schreien, er erlebt, daß auch dazu die Kraft, die Luft nicht reicht, nur ein fast unhörbarer Ohnmachtsschrei gelingt noch. Den kriegt er, erwachend, mit. Die linke Seite sticht. Er hat keine Luft mehr. Er muß vorsichtig das Atmen anfangen. Das gelang. Er glaubte, er habe jetzt andere Träume verdient. Drehte sich um und schlief den freundlicheren Träumen entgegen.
7.
Er ließ am Authariplatz halten. So gut wie nie fuhr er mit einem Taxi vor das Haus, in das er wollte, es sei denn, es war ein Krankenhaus. Joni hatte ihm das Haus genannt, die Lage beschrieben. Ein altgewordener Neubau, da, wo sich die Aretinstraße Grünes gönnt. Er hielt es für geboten, auch den zweiten Stock zu Fuß zu erreichen. Er ging langsam. Er wollte nicht schwitzend ankommen.
Affenschwül, sagte Joni.
Damit wollte sie vielleicht sagen: Besser keine Berührung.
Sie sorgte dafür, daß er in einem der kleinen hellgrünen Ledersessel landete. An dem eckigen und nach allen Seiten eckig verlängerbaren Tischchen sollte Kaffee getrunken werden. Zuerst mußte er die mit Frisbees gepflasterte Wand loben, das war klar. Wer eine Wand so auffällig macht, will Reaktion. Sie erklärte ihm, daß es sich um Kunstwerke handle. Und sofort spürte er einen erklärungsfeindlichen Respekt vor den bunten Dingern. Die Kulturfraktion weiß immer etwas, was du nicht wissen kannst. An einer Wand präsentierte sich ein zartes, von Farben befreites, rührendes Bauernbuffet, dessen Fensterchen mit durchbrochenen Vorhängen bespannt waren. Der Rest waren ein zimmerbreites Fenster zum Balkon und eine Wand, bewaffnet mit Regalen und Apparaten, die jetzt nötig sind. Aus der Regalwand herausgeklappt eine Art Schreibtisch. Und auf dem Boden ein Teppich. Türkisch vielleicht. Joni saß direkt vor ihm, auf einem fahlen Wulst von Schemel. Und hatte praktisch nichts an. Sie hätte so sofort mit ihm in die Stadt gehen können. Oben ärmellos, dann ihr Jeans-Mini, dann nichts mehr. In der U-Bahn wäre das die richtige Kleidung am schwülsten Tag des Jahres. Anders in einem Zimmer, wenn die so Angezogene beziehungsweise Entblößte einem praktisch zwischen den Knien sitzt und heraufschaut und sich freut an deiner Verlegenheit.
Ich bin in einer Gefahr, sagte er.
Und sie: Zahlst du mit Karte oder zahlst du bar.
Und er: Ich lasse mich ablenken von mir.
Und sie: Ich hab heut Geburtstag, gratulier!
Er sprang auf. Ich wünsch dir, daß du alles wirst, was du bist, sagte er.
Das klingt wie Nietzsche persönlich, sagte sie.
Soll mir recht sein, sagte er und kniete neben sie und zog ihren Kopf zu sich und küßte sie sozusagen feierlich. Und setzte sich zurück in sein schlankes Sesselchen.
Sie sagte: Bei uns hat immer Papa für Reime gesorgt.
Er: Und wo hat er die geborgt?
Sie: Bei Kästner und Konsorten.
Er: Also bei solchen, die am Volksmund schnorrten.
Sie: Bravo, Schatz, das stimmt.
Er: Ja, ich weiß, mein Feuerchen glimmt.
Sie: Soll ich dir einen blasen.
Da stieg er aus, sprang er auf, sagte, ihre Sprache sei ihm hochwillkommen, aber er werde sie wahrscheinlich nicht mehr lernen.
Du hast schon ganz schön dazugelernt, sagte sie.
Er: Du bist mein Wortschatz.
Sie: Den sag ich Theodor weiter, das ist ein Kalauer aus reiner Seide.
Er zog sie hoch.
Ja, sagte sie, es gibt noch andere Räume.
Im Schlafzimmer hatte sie die Vorhänge zugezogen, das fand er so rücksichtsvoll, daß er sich stürmisch dafür bedankte. Er schälte sie aus den paar Sachen, die sie anhatte, brachte sie so im blumigen Bett unter, daß sie nicht zuschauen konnte, wie er sich auszog. Sie intonierte, er fiel ein, übernahm! Ohne Verabredung kamen sie gemeinsam weiter, zweistimmig, ein Text, schließlich streckte sie ihre Arme aus nach links und nach rechts, als werde sie gefoltert, nein, gekreuzigt, weit draußen die Hände verbogen wie die auf dem
Weitere Kostenlose Bücher