Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Schaufenster hatte Karl ein Faltblatt mitgenommen. Er las Joni vor, daß seine Schwägerin Lieselotte von Kahn zu einer sowohl kunstgeschichtlichen wie religiösen Wallfahrt ins Kloster Zwiefalten einlade, zu heilspendenden Reliquien: ein Gürtel Leos   IX., Erde vom Grab der Märtyrer Marcellinus und Petrus und eine Hand des heiligen Stephanus. Die Hand des heiligen Stephanus, Joni. Und erzählte ihr, was Erewein erlebt hatte mit einer Hand.
    Da fahren wir hin, sagte Joni.
    Karl nahm sich vor, Frau Lotte zu besuchen. Hast du die Orgelmusik gehört, fragte er.
    Ja, hatte sie.
    Das sei die Schwägerin.
    Er mußte abbiegen, zurück, zum Englischen Garten, er wollte Joni wenigstens die Gegend zeigen, in der er wohnte.
    Joni sagte, sie müßten schneller gehen. Das sehe doch sehr nach Gewitter aus.
    Jetzt sah er es auch. Gelbschwarz der Himmel.
    Als sie warteten, bis sie die Prinzregentenstraße überqueren konnten, kriegten sie die ersten Windstöße mit. Kein Mensch ging mehr ruhig seines Weges. Die rannten alle. Und in alle Richtungen. Die Windstöße nahmen zu, wurden zu Windwirbeln, die Papiere, sogar leere Dosen in die Luft warfen, dann schon die erste Ladung Regen. Also wieder zurück. Einfach irgendwo unter ein Dach. Das war in einer Seitenstraße eher zu finden als in der Prinzregentenstraße. Karl rannte los, Joni an der Hand. Er mußte beweisen, daß er rennen konnte. Bergauf beschleunigen. Joni stieß eine Art Schrei aus. Ein Jauchzen. Einen Wildlaut. Karl reagierte mit derselben Art Laut. Bei ihm fiel der simpler aus. Beim Rennen kontrollierte Karl alle Haustüren, ob irgendwo ein Vordach Schutz bieten könnte. Es regnete jetzt nicht nur, das war ein Wolkenbruch. Und eine Haustür nach der anderen ohne auch nur die Andeutung eines Vordachs. Was waren das für Häuser! Dann war das gleich nicht mehr nur Regen, sondern Hagel. Ein weißer Hagelvorhang rasselte herunter. Weiter als zwei, drei Meter sah man nicht mehr. Er hatte sofort seine Jacke heruntergerissen und sie über Joni gebreitet. Und war weitergerannt. Möglichst dicht an den Hauswänden entlang. Plötzlich machte Joni halt vor einer Tür, zu der eine einzige Stufe führte. Er las Polizei . Die Tür ging auf. Im Hausgang eine Treppe. Joni setzte ihn auf die Treppe. Er schnappte nach Luft. In den Armen, bis in die Finger zog ein Schmerz. Er atmete, aber es nützte nichts. Er hatte das Gefühl, er kriege keine Luft. Und nach Luft zu schnappen hatte er keine Kraft mehr. Joni kam mit einem jungen Mann in Polizeiuniform zurück. Der brachte eine Decke, die wurde untergeschoben. Karl verstand, der Notarztwagen sei unterwegs. Atmen konnte er wieder, aber jeder Atemzug produzierte links einen scharfen Stich. Er mußte flacher atmen. Am besten gar nicht mehr. Er sah zu Joni auf, die sich mit dem jungen Polizeimann herabbeugte und fragte, wie es gehe, der Notarzt könne in jeder Sekunde eintreffen. Der traf ein, ein richtiger Trupp. Der Notarzt war eine Ärztin, noch lange nicht dreißig. Ihre dunkle, aber kein bißchen schwarze Haarpracht hatte sie eng um ihr Gesicht organisiert. Und was für ein Gesicht. Wangen, so braun wie rosa. Lippen und Zähne und Augen und Nase, alles eine reklamehafte Übertreibung des weiblich Umfangenden. Einer hatte schon Karls Blutdruck und Puls gemessen und rief ihr zu: Einhundertneunzig-einhundertzehn-achtundsechzig. Ein anderer hatte Karl an einer Leitung zwei Röhrchen in die Nase gesteckt und dazu gesagt: Sauerstoff. Wieder ein anderer reichte ein rotes Fläschchen und sagte: Zweimal. Nitrospray. Zwei dieser sympathischen Buben hoben ihn auf eine Liege, die Liege auf ein Gefährt, das Gefährt wurde auf einer heruntergelassenen Brücke in den Notarztwagen geschoben. Er genierte sich für seine Hosenträger und für die Leitungen in seiner Nase. Er kriegte mit, daß es im Notarztwagen nur einen Sitzplatz gebe, nämlich für die Ärztin. Die junge Dame, hörte er eine ungeheuer männliche Stimme sagen, fährt mit mir. Ins Krankenhaus Bogenhausen, hieß es. Ob er noch Schmerzen habe, fragte die Ärztin.
    Nachlassend, sagte er.
    Sie frage nur, damit die bei der Aufnahme dann nicht sagten, sie habe ihn leiden lassen.
    Im Krankenhaus wurde ein gründliches EKG geschrieben. Er hatte nicht wahrgenommen, daß die auf der Polizeitreppe auch schon eins geschrieben hatten. Und Blutabnahme und noch einmal Druck und Puls und die Sauerstoffversorgung des Blutes. Sechs Stunden später müßten sie diese Tests noch einmal machen, um ganz auf

Weitere Kostenlose Bücher