Angstblüte (German Edition)
Bände vorgelesen. Er hat das, auch als er selber schon lesen konnte, von ihr verlangt. Er möchte Inas Vorleser sein.
Er kniet sich neben sie, küßt sie ein bißchen, streichelt sie, streichelt sie so, daß sie erwacht. Es folgt ein frommer Kuß. Er holt schnell eine Flasche Bier und zwei Gläser aus der Minibar, setzt sich auf das Fußteil des Liegesessels und stößt mit ihr an.
Ina: Und?
Er nickt.
Ina: Gut?
Elmar: Sehr.
Ina: Sag doch.
Elmar: Rein geschäftlich. Mrs. Fay ist keine Navajo, spielt nicht Gitarre, hat keine langen Finger …
Ina, gequält: Ich sage dir nie mehr etwas.
Elmar: Mrs. Fay, seit zwanzig Jahren Kundin, jedes Jahr mit wenigstens zwei Millionen Dollar dabei, verliebt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, will jetzt einen Kirchner, den sie geerbt hat, aber nicht liebt, er ist ihr, sagt sie, zu teigig, den will sie einem Museum in Boston schenken. Wie und von wem soll sie den Kirchner-Wert feststellen lassen, wenn sie doch den Schenkwert von der Steuer absetzen kann?
Ina: Und? Was soll sie tun?
Elmar: Ganz einfach. Sie muß das Bild einem New Yorker Auktionator geben, ein Kollege von mir bietet mit, überbietet jeden anderen, kriegt fünftausend dafür, treibt den Preis auf siebzehn oder neunzehn Millionen, kriegt den Zuschlag, Mrs. Fay behält das Bild, schenkt es her und setzt, nach Abzug der Spesen, mindestens fünfzehn Millionen von der Steuer ab.
Ina: Und du?
Elmar: Bei mir kauft sie dieses Jahr statt eines Renoir zwei Renoir. Die Femme au col de dentelle und Quai Malaquais . Sie ist, darf ich sagen, Wachs in meinen Händen.
Ina springt auf und führt ihn hinaus auf die Dachterrasse. Draußen zündet sie sich eine Zigarette an. Sie will sich an ihn schmiegen, das erinnert ihn an den Streit. Er kann jetzt nicht mehr herumrennen, aber er kann von ihr keine Zärtlichkeit mehr ertragen. Er schiebt sie weg. Er erträgt keine Berührung mehr. Er starrt in die Friedrichstraße hinunter. Sie lehnt sich so vorsichtig an ihn, daß er es kaum bemerken muß. Das läßt er zu.
XII.
Elmar in seinem Zimmer über dem Geschäft in der Brienner Straße. Er wählt. Besetzt. Er wählt, bis der Angerufene sich meldet.
Kraile: Hier Elvis Kraile.
Elmar weiß nicht, was er sagen soll.
Kraile: Hallo! Hallo! Was soll das denn, anrufen und sich dann nicht melden. Sind Sie wahnsinnig. Brüllt: Sie tun mir leid!
Er legt auf. Elmar wählt noch einmal, Kraile meldet sich, Elmar murmelt, brummt völlig unartikuliert. Kraile wird nervös.
Kraile: Wenn Sie noch einmal anrufen, schneide ich mit und übergeb es der Polizei. Legt auf.
Elmar setzt sich an den Computer, sucht eine nicht alltägliche Type und schreibt hastig. Druckt aus, fünf Seiten, legt sie in eine Mappe. Dann zieht er seine älteste Jacke an und eine ebenso alte Mütze. Sein Schweizer Armeemesser muß auch mit. So in die Stadt. Im Bahnhof weiß er ein Geschäft, in dem es das Schweizer Messer gibt. Vier Stück kauft er. Nuschelt was von vier Söhnen. Jetzt braucht er einen Russen. Er spricht mehrere an, die begreifen nicht, was er will. Endlich ein Russe, der kapiert. Für jeden Brief, den der Russe ihm auf Band spricht, kriegt er einhundert Euro. Elmar hat eine Bank im Hofgarten gefunden, um die herum am späten Nachmittag nicht zuviel los ist. Der Russe liest die Briefe, schaut dann Elmar halb kritisch, halb belustigt an. Er will zuerst das Geld.
Elmar: In Deutschland zuerst die Arbeit, dann das Geld.
Der Russe: Gutt.
Elmar hat sein kleines Sony eingeschaltet, der Russe liest mit dem erwünschten Akzent, mit den erwünschten Sprachschwierigkeiten und mit dem erwünschten Männlichkeits-Ton.
Der Russe, liest: Herr Museumspädagoge Spiegelvögler. Ich kann deutsch nicht schreiben. Schick ich Ihnen hier das Armeemesser von der Schweiz. Mit diesem werden Sie erstochen. Von hinten. Tut also nicht weh. Ich mach von hinten, weil Zweikampf liegt mir nicht. Auf dem Parkplatz. Sie machen Autotür auf, ich stoß zu. Den Stoß kann ich …
Elmar: Moment. So geht das nicht. Sie lesen das ja wie den Wetterbericht. Sie müssen drohen. Verstehen Sie, drohen, bedrohen, Angst machen. Der Herr muß blaß werden, zittern, gar nicht mehr schnaufen können vor Angst. Ich zeig es Ihnen.
Er nimmt den Brief und liest, daß es drohend klinge. Es ist Laientheater, aber in seiner Übertriebenheit doch beeindruckend. Vor allem die Pausen, das Atemholen, das grimmige Weitermachen, das Nichtanderskönnen, der Ernst.
Elmar:
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