Angstblüte (German Edition)
sei Verschönerungsvereinsstil. Wenn ich meine augenblickliche Situation bedenke, kann ich für diesen Rat, für diese Lizenz nur dankbar sein. Wenn ich mir vorstelle, wieviel Sätze ich sonst halbfertig und viertelwahr in der Luft hängenlassen müßte, um dir auf einem Umweg, gepflastert mit Lügen, eine einzige Achtelwahrheit anzudienen, hoffend, du quältest dich damit dann selbst durch zu einer Fastwahrheit, die heißt: Ich habe mich verliebt. Ich bin verliebt. Es tut mir leid. Das schon. Aber wer bin ich? Ich kenne mich ja selber nicht mehr. Die, die ich durch Arthur zu werden anfange, ist mir selber neu. Bestürzend neu, beglückend neu. Sie ist zum Beispiel, um an ein Thema anzuknüpfen, Nichtraucherin. Rücksichtslose Nichtraucherin. Nur weil du Rücksichtslosigkeit zu einem unanzweifelbaren Wert gemacht hast und ich dir da aus ganzem Herzen folge, bin ich imstande, mich dir so zu zeigen, wie ich mich jetzt fühle. Und mehr als ein Trost ist mir die Gewißheit, daß das, was von uns nicht ausgesprochen wurde, unser Fundament überhaupt war, unsere Generalbedingung sozusagen: Du hast sicher auch keine Sekunde lang geglaubt, wir, du und ich, könnten es unter den uns unabänderlich bedingenden Umständen zu mehr bringen als zu einem Austausch gefühlter und gekonnter Gesten. Und sind doch beide gewesen wie neu, jeder hervorgebracht vom anderen. Jeder hat dem anderen die Routine aufgerauht, dann poliert. Die Lyrikerin hat durch dich das Licht der Welt erblickt. Dafür danke ich dir immer. Ich habe unseren Glanz genossen, lieber Elmar. Du hast mich glänzen lassen. So war es eine gute Zeit. Ganz herzlich grüßt dich Ina.
Strabanzer: Einverstanden?
Joni: Doch. Sehr schön. Oder?
Sie schaut zu Arthur hin.
Arthur: Schatz, mich mußt du nicht fragen – ich finde leider alles gut, was du gut findest.
Joni küßt ihn noch schnell.
Strabanzer: Das drehen wir morgen. Danke.
Rudi-Rudij, im Hinausgehen, gewissermassen triumphierend Strabanzer ins Ohr: Die hast du verloren.
Strabanzer, mit parodistisch erhobenem Zeigefinger und in einem ebensolchen Ton, der zu diesem Text nicht passt: Armut ist eine Blume mit empfindlichen Blättern.
Joni und Arthur haben den Spruch noch mitgekriegt.
Arthur: Daß unser Film dieses Motto hat, macht mich einfach glücklich. Dich nicht auch, Joni?
Joni: Was dich glücklich macht, sollte mich überglücklich machen.
Strabanzer und Rudi-Rudij haben das gehört.
Rudi-Rudij: Prima!
Jetzt würden alle den Vorführraum verlassen. Aber Joni ruft.
Joni: Einen Augenblick, wenn ich bitten darf.
Sie geht auf die Bühne, stellt sich vor die Leinwand, breitet die Arme aus, als wären es Flügel. Weil es keine sind, läßt sie sie fallen.
Joni: Ich habe auch noch einen Text.
Sie hebt wieder die Arme, läßt sie wieder fallen. Dann spricht sie:
Mädchenpsalm. Frauenpsalm. Psalm.
Ich habe keinen, ihn anzusingen,
und ich mach mir auch keinen.
Ihr habt mich gelehrt, euch als Verschiedene zu sehen.
Mir zeigt ihr euch als eins.
Mich nicht zu kennen habt ihr mich gelehrt.
Die Autos werden besser, die Menschen nicht.
Ich wäre gern euer Paradebeispiel für Gelungenes,
erfände gern Farbvulkane aus Musik.
Zu singen ist alles, zu sein mit Wörtern,
für was es nicht gibt.
Strabanzer rennt zu Joni hinauf, umarmt sie und läßt sie nicht so schnell los. Sie sind, vor der Leinwand, ein Paar-Denkmal.
Rudi-Rudij: Moment!
Strabanzer: Das drehen wir. Das ist gekauft. Wir fliegen auf die Alpspitze. Dann sagt sie das. In die Welt. Und kein Mensch hört’s.
Rudi-Rudij, höhnisch: Auf der Alpspitze, klar.
Strabanzer: Also, auf dem Stachus. Und keiner hört’s. Komm, Kind.
Sie verlassen den Vorführraum, Joni zwischen Strabanzer und Arthur Dreist, Dreist zieht sie zu sich, sie geht mehr mit Dreist als mit Strabanzer. Strabanzer kriegt unversehens eine Art Haltung. Wird durch Alleinsein heroisch. Sein linkes Auge bleibt stehen. Starr.
VORLÄUFIGES FILM-ENDE.
Am Leben entlang, dachte Karl. Dir kann nichts passieren, dachte er, solange du dir nichts anmerken läßt. Wenn man dir etwas anmerkt, setzt die Teilnahme ein. Die ist ein Verstärker von allem. Auch der Demütigung. Ein Mensch ist, solange er allein ist, nicht zu demütigen. Gedemütigt wird er vor anderen. Das ist der Sinn der Demütigung. Zum Glück hast du keinen Freund.
9.
Karl von Kahn hat noch versucht, Helen auf dem Hausapparat zu erreichen. Er wollte ihr sagen, daß er auf seinem Sofa übernachte.
Am nächsten
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