Angstblüte (German Edition)
Weg durch die Büsche, zur Isar hinab. Dort setzt er sich auf die Uferböschung. Er bemerkt, daß er das Mikro in der Hand hat. Spricht, als höre ihm Ina zu.
Elmar: Das weiß ich selber, daß es nichts bringt, diese Herren umzubringen. Du kannst jederzeit an alles denken. Und das ist schlimmer, als wenn die Herren an alles denken. Du kannst jederzeit alles in deiner Vorstellung ablaufen lassen. Und die ist überscharf und hochgenau. Beispiel: Der Pseudo-Dostojewskij trat sich auf einen Schuhbendel, der sich gelöst hatte, und wäre, wenn du ihn nicht gehalten hättest, glatt hingefallen. Vor zehn oder zwölf Jahren! Und du weißt noch auf den Zentimeter genau die Körpergröße, der Museumspädagoge einszweiundachtzig, der Pseudo-Dostojewskij einsachtundsiebzig, der Dreier-Propagandist einsvierundsiebzig und der Schaum-Schwamm-Moschus-Lavendel-Mann einsvierundachtzig. Und die Schuhgrößen hast du auch intus! Mich abschätzig anschauen und sagen: Du hast aber kleine Füße. Ich frage nach den Vorgängern: Keiner unter vierundvierzig.
Es kostete ihn Willenskraft, die jetzt möglichen Witze nicht zu bemühen.
Elmar: Du kannst jedes Geschlechtsverkehrsdetail abrufen und dich davon noch einmal und noch einmal durchströmen lassen. Als ich dich im leichtesten Ton gefragt habe, ob du schon mit einem Mann im Freien geschlafen hast, hattest du sofort präsent: Ja, mit dreien fünfmal in der Sonne. Und wenn ich dich heiraten könnte – sobald du raushättest, wie ich unter dem, was passiert ist, leide, würdest du nichts mehr mitteilen oder alles nur noch in abwiegelnder Verpackung. Ich habe dich gefragt: Wie war es bei dir beim ersten Mal. Und du noch unbesorgt: Das erste Mal war eine Pleite, nachher wurde es viel besser. Und ich, der Gefühlsidiot, der Dünnhäutigkeitsdepp, ich stöhne auf, du lachst, ich sage: Mit dem Satz kann ich nicht leben. Sagen hätte ich sollen: Gott sei Dank, erzähl! Aber du merktest meinen Schmerz und wurdest sofort pflegerisch: Nie so gut wie bei dir. Ich habe dich praktisch verdorben. Ich hätte nie merken lassen dürfen, daß mir, was du hinter dir hast, etwas ausmacht. Locker und lachend hätte ich die Vergangenheiten streifen müssen. Keine noch so peinigende Erörterung kann jetzt deine Glaubwürdigkeit wieder herstellen. Ich spüre es körperlich, daß in mir die Fähigkeit, dir etwas zu glauben, vernichtet ist. Ein paar Sekunden lang habe ich gehofft, du könntest rücksichtslos sein. Bist du nicht. Du bist pflegerisch. Wie alle. Die ganze Welt ein verlogenes Pflegegelände. Dann die Sprüche: Man kann doch Menschen nicht besitzen. Wörter, Wörter, Wörter. Man kann alles so sagen, daß es paßt. Bei manchen Sätzen sagst du dazu: Beim Leben meiner Mutter! Ja merkst du denn nicht, daß dadurch die Unglaubwürdigkeit aller anderen Sätze geradezu demonstriert wird. Und Schwüre! Lächerlich. Als ich auf einen deiner Schwursätze sagte: Warum soll man Schwüre halten, hast du gesagt: Man muß nicht fragen, warum, man hält sie. Oder hält sie nicht, habe ich gesagt. Nur wenn du nicht mehr bist, lebt, was passiert ist, nicht mehr. Du hast, was du zu mir gesagt hast, nicht nur hundertmal zu anderen gesagt, du wirst es auch noch viele hundertmal zu anderen sagen, das halt ich nicht aus. Könntest du morgen, bitte, gleich über mich herfallen, sonst geh ich dir einfach an die Wäsche. Deine Sätze! Nur wenn du nicht mehr bist, passiert das nicht mehr .
Er wirft das Mikro in die Isar. Er wirft mit aller Kraft. Jetzt erst ist er allein.
Elmar, murmelt: Aufstehen. Sie anrufen. Sie nicht erreichen. Deiner Schwäche einen Pullover stricken.
XIV .
Das Schlußbild der letzten Szene ist stehengeblieben. Im Vorführraum der Firma sitzen Joni, Arthur, Strabanzer und Rudi-Rudij. Jonis und Arthurs Hände lösen sich voneinander, sobald das Licht angeht.
Strabanzer: Und jetzt, Genie?
Rudi-Rudij: Schreibt Ina den Brief. Soll ich ihn vorlesen?
Strabanzer sieht, daß Joni und Arthur auch dafür sind. Er nickt.
Rudi-Rudij geht nach vorne, vor die Bühne mit Leinwand. Er liest nicht nur vor, er spielt den Text, als wäre es kein Brief, sondern ein Monolog von Ina, gesprochen für Elmar.
Rudi-Rudij: Lieber Elmar, ich habe bei dir gelernt, daß ich nicht pflegerisch mit dir, mit uns umgehen soll, sondern wahrhaftig beziehungsweise rücksichtslos. Als ich sagte: Dein zerfurchtes Gesicht, hast du wütend unterbrochen und befohlen: Deine Faltenvisage. Die so faltenreich gar nicht ist. Zerfurcht
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