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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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die Suite, durch Schlaf- und Wohnzimmer hinaus auf die Dachterrasse, die ist riesig. Er rennt vor bis ans Geländer, rennt, ohne in die Friedrichstraßenschlucht hinuntergeschaut zu haben, wieder zurück, nimmt auch da die Wahrzeichen von Berlin-Mitte nicht wahr, dreht wieder um und rennt und rennt. Man weiß nicht, rennt er, um Atem zu kriegen, oder rennt er einfach kopflos herum, auf jeden Fall ist das Panik. Ina rennt ihm nach, will ihn halten, sich ihm in den Weg stellen, er stößt sie zur Seite, einmal rennt er sie direkt um. Sie ist noch nicht angezogen. Er stößt Laute aus. Am ehesten ergibt, was er ausstößt, immer wieder Nei--nnn, nei--nnn … Ina stellt sich vor das Geländer, daß er sich nicht hinunterstürze. Das ist schon ein bißchen theatralisch und seinem Ernst keinesfalls entsprechend.
    Ina: Ich habe dir gesagt, daß es einen gibt, einen Bewerber. Einen Musiker.
    Elmar: Läßt mich die Vergangenheit abfieseln und treibt’s aktuell mit einem Musiker!
    Ina: Einen Augenausdruck wie du. Hab ich gesagt. Das weiß ich. Die gleiche fröhliche Verwegenheit. Die gleiche Labilität. Diese sturzbachartige Verwandlung ins Traurige …
    Elmar: Du hast mich geködert, ja geködert mit längst vergangenen Geschichten, alles vorbei, ich sollte glauben, jetzt, an diesem Tag, in dieser Nacht, gibt es nur noch dich und mich, du hast mich hereingelegt.
    Ina: Ich habe gesagt, es gibt Bewerber.
    Elmar: Besitzer, hättest du sagen müssen.
    Ina: Elvis …
    Elmar: Elvis! Warum nicht gleich Presley!
    Ina: Wenn schon, dann doch Costello! Elvis ist Musiker. Jazzpianist, Gitarrist, Komponist. Für Filme. Ich habe dir erzählt, daß er eine Tochter hat, die entstellt ist von Akne.
    Elmar: Mir kommen die Tränen.
    Ina: Daß seine Frau Anfälle hat …
    Elmar: Hör auf. Hör auf. Sonst …
    Ina: Ich bin …
    Elmar: Hör auf. Ich kann es nicht mehr hören. Nie mehr etwas. Schluß.
    Er rennt weiter. Ina kann nur noch zuschauen. Sie geht zur Tür. Sie hält es für möglich, daß er sein Herumrennen mäßigt, wenn sie nicht mehr zuschaut. Sie geht hinein, kommt aber gleich wieder heraus. Sie hat Zigaretten geholt. Sie bietet ihm eine an. Tatsächlich nimmt er eine. Sie zündet seine und ihre Zigarette an.
    Ina: Elvis hat die Musik gemacht für Alles Banane . Und selber gespielt. Gitarre.
    Elmar wirft die Zigarette weg und rennt weiter.
    Ina: Jetzt will ich dir einmal alles sagen, und du rennst weg.
    Elmar zwingt sich, am Geländer stehenzubleiben. Er hält sich fest.
    Ina: Elvis ist ein Indianer. Nicht per Abstammung. Geistig. Psychisch. Er hat zwei Jahre unter den Navajos gelebt. Eine Rothaut ohne Farbe.
    Elmar: Wie oft?
    Ina: Was?
    Elmar: Schläft er mit dir?
    Ina: So gut wie nie.
    Elmar: So gut wie nie!! Fabelhaft. Was heißt das pro Woche?
    Ina: Es war immer nur möglich, wenn seine Frau auswärts war. Oder wenn wir, er und ich, auswärts waren. Er hätte das nicht gekonnt, mit mir schlafen, dann heim. Sie hätte ihm angesehen, wo er herkommt.
    Elmar: Hochsensibel. Erschütternd moralisch. Hinreißend tragisch. Gratuliere. Ich bestelle dir, wenn du in Berlin übernachten willst, ein Zimmer. Auf einer anderen Etage.
    Ina: Frag doch, wie es war mit ihm.
    Elmar: Ach nein.
    Ina: Es war nichts. Ich habe fingiert und fingiert.
    Elmar: Schauspielerin.
    Ina: So ist es. Aber ich habe ihn geliebt. Wegen seiner Stimmungsumschwünge. Plötzlich keine Wolken mehr, grellste Sonne, und gleich wieder die schwärzeste Verhangenheit.
    Elmar: Dann der rettende Coitus.
    Ina: Er hat sich die zärtlichste Mühe gegeben. Eine volle Stunde Vorbereitung. Mit dem Finger.
    Elmar: Ein Gitarrist!
    Da sie merkt, daß das ein Weg zurück ist zu Elmar, fährt sie fort.
    Ina: Da er zwar lange, aber sehr dünne Finger hat, habe ich ihm empfohlen, zwei zu nehmen.
    Elmar schlägt ihr ins Gesicht. Reißt sie an sich und weint.
    Ina schaut auf die Uhr.
    Ina: In vier Minuten kommt Mrs.   Fay.
    Elmar: Willst du dabeisein?
    Ina schüttelt den Kopf. Sie gehen rasch hinein. Ina legt sich in den zweiteiligen Sessel im Schlafzimmer. Er zieht seine Jacke an.
    Elmar: Bis gleich.
     
    XI.
    Elmar kommt zurück von seiner Besprechung, Ina ist eingeschlafen, das Buch, ein Taschenbuch, in dem sie gelesen hat, ist ihr aus den Händen gerutscht und liegt auf ihren nackten Schenkeln. Elmar nimmt es vorsichtig auf und sieht, es ist ein Buch von C. S. Lewis, Der Ritt nach Narnia . Das begeistert ihn. Der fünfte Band der Narnia-Chroniken. Seine Mutter hat ihm alle sieben

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