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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Morgen war unübersehbar: Helen war von ihrem Kongreß nicht nach Hause gekommen. Auf dem Tisch lag ein Kuvert, DIN A4, an ihn adressiert. In Helens großen Buchstaben. Er rannte aber doch schnell hinauf ins Schlafzimmer. Unberührt. Helens Brief wollte er jetzt nicht lesen. Ihre Briefe waren immer umständliche Mitteilungen. Immer länger als nötig. Ihm fiel ein, was er geträumt hatte. Zum Glück konnte Helen jetzt nicht diesen Traum aus ihm herausfragen. Er hatte mit der Freundin eines Freundes schlafen müssen. Er tat das eifrig, stolz darauf, daß das so problemlos ablief. Dann wischte sie, die noch unter ihm lag, ihrem zuschauenden Freund schnell übers Gesicht, eine Art spielerischer Ohrfeige. Er glaubte, sie wolle ihrem Freund ihre Verachtung ausdrücken, weil der das, was ihr gerade geschehen war, nicht so gut gekonnt hätte. Aber sie sagte zu ihrem Freund: Jetzt zeig ihm dein Tagwerk. Gern, sagte der und trat dem jetzt schutzlos auf dem Rücken Liegenden mit aller Wucht in den Bauch. Daran war Karl erwacht. Atemnot.
    So einen Traum muß man nicht übersetzen. Der ganze Traum kam ihm vor wie eine geballte Faust. Als stehe der Traum noch bevor. Er ging ins Freie. Ging draußen hin und her. Wahrscheinlich würde Helen gleich heimkommen. Sollte er das Frühstück organisieren, daß sie, wenn sie kam, sich nur noch hinsetzen mußte? Wahrscheinlich hatte sie schon gestern, bevor sie zum Kongreß fuhr, gewußt, daß sie im Kongreß-Hotel übernachten werde. Das hatte sie ihm sicher in ermüdender Umständlichkeit geschrieben. Sie erklärte immer jede Unwichtigkeit so ausführlich, daß man mitten in diesen Nichtigkeitsentfaltungen wie von der plötzlich spürbaren Wirkung einer Schlaftablette überfallen wurde. Der Grund dieser anstrengenden Ausführlichkeit: Sie ertrug es nicht, mißverstanden zu werden. Im Vorbeigehen nahm er noch die Post mit hinein. Ein Brief von Arthur Dreist. Den mußte er allerdings sofort lesen. Und las:
    Sehr geehrter Herr von Kahn,
    unverlangt, aber aus einer Art unvermeidlicher Teilnahme an allem, was um mich herum passiert, schreibe ich Ihnen diesen Brief. Die Fakten kennen Sie. Aber wenn die Fakten ein härteres Gesicht haben, als ihnen zukommt, dann darf unsereiner sich einmischen und dem Ganzen zum richtigeren Ausdruck verhelfen. Berufsethos, sozusagen. Deshalb also muß ich, glaube ich, mitteilen, daß Sie keinerlei negative Stimmung aufkommen lassen dürfen, wenn Sie an Joni denken. Es ist nichts passiert, was vorwurfswürdig wäre. Das Leben selbst hat geurteilt, also die Natur, und daß das, über alle Ansichtssachen hinaus, unsere höchste Instanz ist, wissen wir. Egal, ob wir es in jedem Augenblick gelten lassen können oder nicht. Es nicht gelten zu lassen führt nur zu Lug und Trug, Täuschung und Enttäuschung. Ein schlichter, aber bei aller Schlichtheit unwiderlegbarer Beleg: Joni hat, bevor sie mir gestattete, sie zu lieben, noch nie einen Orgasmus erlebt. Es war immer alles Schauspielerei gewesen. Und sie ist durch und durch eine vorzügliche Schauspielerin. Zu erleben, wie sie ist, wenn sie nicht mehr spielt, war etwas jenseits des Mitteilbaren. Und als Naturereignis unanzweifelbar. Das ist, bitte, nicht das Verdienst dessen, der das jetzt erleben durfte. Es ist das ungeheure Glück dessen, bei dem es endlich fällig war. Wir wollen das nicht aufdröseln. Ihnen sei nur gesagt: Sie versäumen nichts. Joni war nicht Ihre Frau. Jetzt ist sie meine.
    Mit freundlichen Grüßen, auch von Joni, die diesen Brief sehr billigt,
    Ihr
    Arthur Dreist
    Eine Zeit lang saß Karl reglos, dann griff er doch nach Helens Brief. Hatte er jetzt ein Bedürfnis nach ihrer gegenstandsarmen Ausführlichkeit?
    Nein, er mußte weg. Weg, bevor Helen zurückkam. Helen würde ihn jetzt nicht aus dem Haus lassen. Sie war sicher die leiseste Frau der Welt. Aber auch die unerbittlichste. Daß sie ausgezogen war, bevor er auszog, war ihr Sieg, den sie als Niederlage verkaufte. Sie konnte tun, was sie wollte. Da sie ihn im Leiden schlug, schlug sie ihn überhaupt. Es blieb nur die Unterwerfung. Die Lüge als Lebensform.
    Nach Herrsching! Ins Kronprinz Ludwig . Keinem etwas erklären müssen. Helens Brief hatte er noch in der Hand. Mitnehmen mußte er ihn. Noch nie hatte er, Geld zu haben, so wohltuend erlebt. Er brauchte keinen Koffer, keinen Mantel, keinen Rasierapparat, er hatte Geld. Er konnte hinfahren, hinfliegen, wohin er wollte. Das Kronprinz Ludwig war die falsche Adresse. Er mußte irgendwo

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