Angstblüte (German Edition)
dürfen. Den Satz allerdings sagte er immer wieder. Die Tat selber stritt er mit keinem Wort ab. Sie hätte nur nicht geschehen dürfen. Er wollte von keinem Anwalt beraten oder vertreten werden. Daß Ina tot war, machte alles, was jetzt noch geschehen konnte, sinnlos. Dann fällt Herr Elvis Kraile auf. Er entschuldigt sich dafür, daß er sich nicht sofort nach der Tat gestellt hat. Daß dieser Kunsthändler als Täter auftritt, findet er, geht nicht. Das hat Ina nicht verdient, von diesem fetten Wichtigtuer umgebracht worden zu sein. Elvis Kraile ist ein hagerer Jazzpianist, der nur noch in Hotelbars beschäftigt wird. Durch Mißerfolg überempfindlich geworden. Als Ina ihn einmal bei sich übernachten ließ, wollte er nicht mehr gehen. Er rief seine Frau an, sagte ihr, daß er jetzt endlich wisse, wohin er gehöre. Seine Frau war froh, ihn loszusein. Als Ina ihn hinausdrängen wollte, erwürgte er sie und blieb auf einer Parkbank sitzen, bis er den Leuten auffiel. Sie riefen die Polizei. Er legte sein Geständnis ab.
Zwei Täter, jeder motiviert genug für die schreckliche Tat. Der Staatsanwalt versucht fleißig, diese Situation entscheidbar zu machen. Aber der Kommissar ermittelt weiter, weil er einen Täter braucht, nicht zwei. Seine Grundüberzeugung: Je weniger eine Tat im Affekt begangen wird, desto unglücklicher muß der Täter sein. Nur unglückliche Menschen sind zu einer solchen Tat imstande. Also sucht er den Unglücklichsten in dem Beziehungsgeflecht, dessen Zentrum Ina Kosellek war. Der Unglücklichste von allen, findet er heraus, ist Rodrigo, der Regisseur. Aber ihm ist nichts zu beweisen. In den Verhören macht er sich über den Kommissar lustig, verhöhnt ihn regelrecht. Der Kommissar habe wohl zu viele schlechte Kriminalfilme angeschaut. Selbst wenn er es getan hätte, sagt er dem Kommissar ins Gesicht, Sie, Herr Kommissar, überführen allenfalls sich selbst, nämlich der berufsbedingten Hirnschrumpfung. Der Kommissar bleibt gelassen. Dann bringt der Kommissar einen Handschuh mit zum Verhör. Der Regisseur stutzt. In den Haaren der Toten ist ein Faden gefunden worden, der aus diesem Handschuh stammt, und es ist Rodrigos Handschuh. Als er erfährt, daß sein engster und einziger Freund diesen Handschuh geliefert hat, geht er ins Nebenzimmer und erschießt sich.
Fast in jedem Artikel wurde dieser Rodrigo anders aufgefaßt, anders empfunden. Übereinstimmung herrschte darüber, daß er unglücklich war, weil er in einer Gesellschaft lebte, in der Liebe ohne Sexualität nichts galt. Er liebte offenbar Ina, seit er sie zum ersten Mal bei der Beerdigung eines Schauspielers gesehen hatte. Er erlebte eine Liebesgeschichte Inas nach der anderen. Als Ausgeschlossener. Nicht in Frage Kommender. Er gab den Homosexuellen, um in irgendeiner Hinsicht in Frage zu kommen. Wie das enden mußte, sah er voraus. Das war dann die Tat.
In der letzten Szene sitzen die, die den Film gemacht haben, vor der Leinwand. Der Film ist gelaufen. Die Journalisten haben gefragt. Theodor Strabanzer steht auf und sagt: Hat mich gefreut, Verständniswilligen ein paar Sätze zu sagen über unser geniales Machwerk. Adieu. Und eilt hinaus. Rennt durch die Stadt. Die Flucht vor den Zeitungen.
Der Film wird umstritten genannt, ist aber sofort ein Publikumserfolg.
Karl von Kahn würde gut verdienen.
4.
Er mußte Helen schreiben. Ihr in einem Brief andeuten, was gewesen ist. Gewesen war.
Er konnte dann nicht immer ich sagen. Wenn er von sich in der dritten Person schrieb, schien es leichter, genau zu sein. Helen würde das verstehen. Sie schrieb ihre Studien, in denen sie ihre Erfahrung spüren ließ, immer ohne ich zu sagen.
Bis zum Wochenende machte er sich Notizen, dann schrieb er:
Liebe Helen,
heute morgen erwachte ich durch zwei Schläge ins Gesicht, die ich mir selber gegeben hatte. Was für ein Traum zu dieser Selbstbestrafung führte, war nicht mehr auffindbar. Vorschnelle Bedeutungshubereien wehre ich ab. Ich bin Dein Traumbehandlungsschüler. Deshalb bleibt der Traum unzerstört in mir präsent. Zwei Schläge von mir, mir ins Gesicht. Damit will ich nicht angeben, mich nicht einschmeicheln bei Dir. Ich habe bei Dir auch gelernt, nicht mit einem Traum anzugeben, aber zwölf andere Träume, die man nicht gestehen kann, unerwähnt zu lassen. Ich gestehe also, daß ich die meisten Träume, von denen ich zur Zeit heimgesucht werde, Dir nicht sagen kann. Das wage ich jetzt zu gestehen, weil es der Programmpunkt fünf ist in
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