Angstblüte (German Edition)
Deinem Vortrag Warum darf der Traum Klartext der Ehe genannt werden. Wenn ich Dir einen solchen Traum erzählen könnte, wäre bewiesen, daß ich als Träumender unmöglich bin. Nicht nur als Träumender, wirst Du sagen.
Du weißt: Ich bin ein Simulant. Ich simuliere Leben. Immer schon. Dieser Satz käme mir glaubhafter vor, wenn er hieße: Er ist ein Simulant. Er simuliert Leben.
Laß mich dabei bleiben. Ich will für Dich einen Text entwerfen, der nicht mehr vom Verschweigen lebt. Laß es mich, laß es ihn probieren.
Er hat Dich nie angelogen. Was er Dir gesagt hat, war immer wahr. Schon dadurch, daß er es gesagt hat. Und in dem Augenblick, in dem er es Dir gesagt hat. Aber er hat Dir vieles nicht gesagt. Ist Verschweigen gleich Lügen? Das Verschwiegene hat zugenommen. Du glaubst, Dir sei jetzt alles bekannt. Die Joni-Katastrophe.
Wie der Versuch, Dir, der Erforscherin des Verschwiegenen, vom Verschwiegenen einen Eindruck zu verschaffen, ausgeht, ist noch nicht vorstellbar. Der Versuch muß blindlings unternommen werden. Taub gegen sich selber. Taub gegen die immer alles verhindern wollende Welt. Taub gegen jede Art Dreinrede. Und sei sie die edelste, feinste, liebenswürdigste. Du siehst, er tanzt vor Dir das Angstballett, das er immer getanzt hat, wenn er Dich hat verschonen wollen vor seinem So- und Sosein. Mehr als Andeutungen wird er auch diesmal nicht aus sich herausbringen. Verzeih, wenn es Dir zuwenig ist oder zuviel. Wisse aber, daß er Dich liebt. Er hat Grund dazu. Und wenn Du, seine Andeutungen lesend, vergißt, daß er Dich liebt, dann … dann sind wir am Ende. Keinesfalls darf er sich dadurch schon vorweg einschüchtern lassen, obwohl eine schlimmere Wirkung als die, daß Du vergißt, daß er Dich liebt, nicht denkbar ist. Trotzdem macht er diesen Versuch. Diesen Versuch einer Selbstpreisgabe. Es werden ohnehin nur Andeutungen sein. Das darf sogar als Titel dienen: NUR ANDEUTUNGEN.
Was bist Du für ein Mensch, hast Du geschrieben. Dann hast Du ihm in ausführlicher Rede entzogen, was ihn sich selber noch erträglich machen könnte. Du hast die Deutungshoheit an Dich gerissen. Du bist die Legitimierinstanz. Er ist alles nicht, was er sein soll. Was man sein soll. Er dürfte es gar nicht aushalten, so zu sein, wie er ist. Er müßte sich fügen oder sich umbringen. Rechtfertigen entfällt. Das weiß er aus jedem Zusammenhang, den er je gestreift hat. Wer sich rechtfertigt, klagt sich an. Soll er sich anklagen? Er zieht es vor, sich in der über ihn ausgeschütteten Illegitimität einzurichten. Es ist entspannend, ein unmöglicher Mensch zu sein.
Was Beziehung war, ist vernichtet. Von ihm kann nichts mehr erwartet werden. Daß das doch so bliebe.
Wenn ein anderer seine Morallosigkeit praktiziert, wird er ihm unsympathisch. Er selber bleibt sich sympathisch. Er bittet Dich, anzuerkennen, daß er nicht amoralisch ist, nur unmoralisch. Das macht ihn klein. Auch das soll ihm recht sein. Was allgemein gilt, ist anerkennenswert. Müßte nicht öfter dazu gesagt werden, daß sich niemand an das hält, was allgemein gilt? Jeder muß den Anschein erwecken, er lebe nach dem, was allgemein gilt. Wer das nicht schafft, ist ein unmöglicher Mensch.
Nehmen wir Herrn A. Er hat gerade mit Frau B. geschlafen, wie man miteinander schläft, wenn man lange voneinander getrennt war. Frau B. ist von ihrem beruflichen Alltag so erschöpft, daß sie nach diesem Miteinanderschlafen sofort einschläft. Herr A. geht in Frau B.’s Arbeitszimmer hinüber, die Tür macht er so leise als möglich zu, dann setzt er sich an Frau B.’s Schreibtisch und schreibt an Frau C., die seine Frau ist. Er schreibt: Ich liebe Dich. Ich liebe Dich, wie ich keinen Menschen in der Welt lieben kann. Ich möchte jetzt bei Dir sein und mich bei Dir auflösen bis zur Nichtmehrfühlbarkeit der eigenen Existenz. Ich möchte mich durch Dich verlieren. Nicht mehr sein müssen möchte ich durch Dich.
Er schreibt sich in einen Rausch hinein. Die Vorstellung, durch Frau C. erlöst zu werden, reißt ihn hin. Zur Vervollkommnung dieser Empfindung gehört, daß es Frau C. genauso gehen sollte, daß von ihr nicht mehr übrigbliebe als von ihm, also daß sie, er und seine Frau, nur als Eins übrigbleiben würden. Das schreibt er ihr. Dann geht er wieder zurück zu Frau B., die tief schläft, schlüpft aus dem Morgenmantel, legt sich nackt neben die Nackte und sucht möglichst viele Berührungsstellen, Berührungsfelder. Er schraubt Frau B. und sich
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