Angstblüte (German Edition)
seine Begeisterung in arbeitsdienliche Bahnen zu lenken, hätte er nun seinerseits Berthold Brauch umarmen wollen.
Die Augen, sagte Brauch, der Blick, vollkommen lauter, gerade als beabsichtige der, dessen Augen das sind, nichts, als sei er nur da, entgegenzunehmen und auf alles, was ihm entgegenkommt, verstärkend zurückzuwirken.
Mit drei Ja’s, sagte Karl von Kahn.
Diese Ja’s sind göttlich, sagte Brauch, aber Ihr Hausheiliger, Mr. Buffett, ist des Teufels. So drückte sich der bedächtige Herr Brauch selten aus. Daß Karl von Kahn die neueste Warren-Buffett-Meldung noch nicht gehört, gelesen, mitgekriegt hatte, konnte er nicht glauben. Herr von Kahn habe, was der Weise von Omaha jetzt zum Besten gegeben habe, einfach verdrängt.
Daß ihm, was Herr Brauch ihm mitteilte, entgangen war, zeigte, wie sehr er zur Zeit seine Arbeit vernachlässigte. Warren Buffett, Herr über ein Vermögen von dreiundvierzig Milliarden Dollar, habe gesagt, die Erbschaftssteuer müsse auf einhundert Prozent hinaufgesetzt werden, damit jeder bei Null anfange. Karl von Kahn sagte: Ein schöner Gedanke, wenn der Steuereinnehmer nicht der Staat wäre. Alle Waisenhäuser der Welt, bitte. Aber doch nicht die Wertvernichtungsorganisation Staat. Er wollte nicht diskutieren, er wollte gehen.
Frau Lenneweit, sagte er, als er schon in der offenen Türe stand, wir haben keinen Patron mehr, wir sind von heute an eine atheistische Firma.
Draußen fiel ihm ein, was sein Vater gesagt hatte, wenn er 1944 in Nürnberg für einen halben Tag die Flakstellung verlassen durfte: ’s hat alles kein’ Wert. Den Satz sollte er in seiner Kunden-Post veröffentlichen. Verehrte Kunden, es hat alles keinen Wert, lassen wir’s doch gleich dem Staat … Dann fiel ihm, sozusagen zwangsläufig, ein: Bergauf beschleunigen. Das hieß jetzt: Einer Welt, in der ein Beat Pestalozzi möglich ist, kann nichts passieren.
Sein Handy meldete sich. Und es war Fanny.
Karl rief: Fanny! Aber in der Melodie eines Freudenschreis.
Ach, Papa, sagte Fanny. Sie habe nicht die geringste Aussicht, ihm verständlich zu machen, wie unangenehm, wie zutiefst verstörend es für sie sei, ihn anrufen zu müssen.
Da wußte er, daß es nur um Geld ging, und war glücklich. Ach Kind, sagte er, wenn es weiter nichts ist, und es ist doch offenbar nichts als eine kleine Finanzklemme in Mecklenburg-Vorpommern. Und das solltest du, bitte, schon bemerkt haben, mir ist jede Gelegenheit, euer Bankier zu sein, eine Herzerfrischung. So redete er, bis er hoffen konnte, die Tochter überzeugt zu haben. Ob ihr Tom seine blinden Hühner je gezüchtet haben werde, war ihm nicht wichtig, aber die Hühnerfarm, von der sie dort lebten, sollte immer aufs beste ausgestattet sein. Und er wollte nicht, daß Fanny ihm erkläre, wofür jetzt zwanzigtausend nötig seien.
Tanja und Sonja entwickelten sich stürmisch, sagte Fanny, und seien jeden Tag eine Freude.
Karl sagte, er werde im Frühjahr einen Besuch machen.
Fanny sagte, daß sie glücklich wäre, wenn nicht wieder etwas dazwischenkomme. Von Tante Lotte hat sie einen Brief bekommen. Die hat die fünfte Chemo hinter sich und ist voller Hoffnung und Zuversicht. Fast übermütig ist sie. Dem Frühjahr schaut sie entgegen, als könne es ihr nichts als Freude und Glück bringen.
Nach dem Gespräch konstatierte Karl, daß sie seit Jahren kein so langes und ihn so berührendes Gespräch mehr geführt hatten. Und, vor allem, Fanny hatte so gut wie nicht mehr gestottert. Sie hatte schon noch diese Tom-Manier, sich in jeden Satz mit deutlich zuviel Gefühl hineinzustürzen, um dann gleich zu stolpern und Wörter zwei-, dreimal sagen zu müssen und so eben als Stotterer zu wirken. Aber sie wirkte jetzt ruhiger. Toms Einfluß mußte nachgelassen haben.
Er hatte, solange er telefonierte, nicht aufgepaßt, wohin er ging, war auf den Promenadeplatz eingebogen und dann vom Promenadeplatz hinüber in die Kaufinger Straße. Jetzt ging er zielbewußt zu seiner U-Bahnstation. Und sah Helen. Sie stand vor einem Juweliergeschäft. Es war das Geschäft, in dem sie ihre Eheringe gekauft hatten. Die hatten flach sein müssen und hatten kein Gold enthalten dürfen.
Hier liefen genug Menschen durcheinander. Er konnte in jede Richtung ausweichen, um jede Begegnung zu vermeiden. Und ging einfach weiter. Vielleicht würde er hinter ihr vorbeigehen, ohne sie anzusprechen. Aber sie drehte sich, bevor er überhaupt in ihre Nähe kam, in seine Richtung, ging ihm jetzt
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