Angstblüte (German Edition)
Oder eben nicht. Und wenn nicht, dann kann es sein, daß sie gleich auf das alles beherrschende Sofa zugeht und sich aufs champagnerfarbene Velours fallen läßt, nie in die Mitte, immer in die linke Hälfte, vor das linke der beiden großen rechteckigen Kissen und in Reichweite der Polsterrolle auf ihrer Seite. Alles, was weich ist, schimmert in goldenster Champagnertönung. Die Sofaschale ist aus Palisander, gerundete Ecken, aber auf dem dunklen Holz läuft ein vergoldetes Bronzeband. Egal, in welcher Stimmung Gundi ist oder welche Stimmung sie ausdrücken will, sie landet nie auf dem Sofa, ohne es mit dem Namen seines Erschaffers zu grüßen. Als wäre der selber gegenwärtig, sagt sie: Guten Abend, Jacques-Emile Ruhlmann. Je nach Laune folgt: Ich bin so froh, endlich wieder auf Ihrem paradiesischen Meisterwerk Platz nehmen zu dürfen. Oder: Heute ist dieses Sofa Asyl. Zuletzt gehen die zwei Stehlampen an: dunkle, sich verjüngende Holzsäulen, die plissierte helle Schirme tragen. Und hinter und über allem schimmert in jeden Himmel das Chryslerbuilding aus New York. Es sieht aber nicht aus wie von außen beleuchtet, sondern schimmert von innen heraus. Und das immer mehr.
Außer der Chryslerbuilding-Magie ist alles, was man jetzt sieht, echt. Darauf besteht Gundi. Davon lebt sie. Das erlebt man als Zuschauer, wenn man sieht, wie sie umgeht mit dem, was sie ihre wunderbaren Dinge nennt.
Der Zuschauer sieht sie in der linken, den Gast in der rechten Ecke. Der Gast wird von Mr. Sheshadri hereingeführt, Gundi steht auf, der Butler stellt den Gast vor, Gundi zeigt sich informiert. Auf Gundis Seite endet das Sofa vor einem Gauguin-Bild: Kopf einer Frau auf Tahiti. Auf der anderen Seite vor der Meditazione del mattino von Giorgio de Chirico. Dazwischen ein Relief, in Elfenbein, vor schwarzem Hintergrund fünf Figuren, sitzend Paris, hinter ihm Merkur, auf die beiden zu kommen Venus, Juno und Minerva. Paris hält Venus den Apfel hin. Das Urteil des Paris also. Manchmal fragt Gundi einen Gast unvermittelt: Wie finden Sie Gauguins Frau, Chiricos Meditation oder die drei blanken Elfenbeinschönen vor dem sitzenden Paris? So fragt sie erst, wenn durch den Gesprächsverlauf erbracht ist, daß man sich nicht zu bewähren hat, daß man sich nicht blamieren kann, daß man aber, indem man in diesem Augenblick sagt, wie es einem zumute ist, etwas über sich erfährt. Sie selber sitzt meistens so, daß sie Venus oder Juno jeder Zeit streicheln kann. Dem Gast sagt sie, dieses schönste Elfenbein aus dem frühen 17. Jahrhundert habe sie gewählt, weil fraglose Schönheit ihr Leben steigere wie nichts sonst. Sie sei nackt ein anderer Mensch, sagt sie. Wie geht es Ihnen? So führt sie den Gast, ob Mann oder Frau, aus seiner Kleiderbiographie heraus ins Freie. Beziehungsweise in die Geborgenheit ihres Salons. Der Gast erfährt: Die zwei hüfthohen Vasen sind von Michael Powolny, mit dem ist sie trotz des gleichen Namens nicht verwandt. Die links und rechts streng aufrechten weißen Kraniche auf ihren türkis schimmernden Porzellanfelsen liefern dem Salon eine Art Schönheitszaun. Sie kommen aus dem China der Qing-Dynastie, auch aus dem 17. Jahrhundert. Und, sagt Gundi zu ihrem Gast, dort waren sie die heiligsten Vögel überhaupt. Als höhere Abschirmung, sagt sie, empfinde sie ihren Kranichzaun. Aber es ist durchaus möglich, daß sie plötzlich zur Kamera, also zum Fernsehzuschauer sagt: Wenn ich jetzt die Briefe nicht hätte, die Sie mir geschrieben haben, wären all diese wunderbaren Dinge in meinem Salon nicht imstande, mich zu beleben. Und liest einen oder zwei oder drei Briefe vor. In Großaufnahme. Wenn sie diese Briefe vorliest, werden es Liebesbriefe, und Gundi sagt, sie sei die glücklichste Frau der Welt, weil ihr solche Briefe geschrieben werden. Aber solche Briefe werden es erst durch ihr Vorlesen. Sie kniet, wenn ein Brief es ihr souffliert, auf dem Sofa, kippt zur Seite, kuschelt sich klein in die Ecke, sie tut immer, was der Brief mit ihr macht. Sie führt diese Briefe auf. Sie feiert sie. Das regt immer mehr Leute zu immer heftigeren Briefen an. Gundi gesteht, daß sie ohne diese Briefe gar nicht mehr leben könnte. Wenn ich diese Briefe nicht mehr bekomme, rauch ich wieder, hat sie einmal gesagt.
Sie hatte sich ja das Rauchen öffentlich abgewöhnt. Alle Rückfälle gestanden. Den ganzen Leidenskampf vorgeführt. Das war überhaupt ihr Durchbruch. Die Anteilnahme der Zuschauer wuchs lawinenartig. Tausende und
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