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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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über ihn gekauft habe, ein Urteil abgeben könne.
    Diese Aktien ordern, sagte er, heiße jung sein, also habe die gnädige Frau bestens entschieden.
    Schmeichler, sagte sie.
    Und er: Die Erträge werden mit den Bäumen wachsen. Und da das von Zürich aus überwacht wird, kann nichts schiefgehen. Was mir daran nicht gefällt, ist, daß nicht ich Ihnen diesen Bio-Wert erworben habe. Aber nach der Pleite mit dem Windpark-Fonds hatte ich vorerst nicht mehr den Mut …
    Sie haben mich gewarnt, rief sie, Sie trifft keine Schuld.
    Ich hätte Sie nicht nur warnen dürfen, ich hätte es Ihnen verbieten müssen.
    Mir kann man nichts verbieten, sagte sie.
    Sie sind überhaupt eine Autonome, sagte er. Eine alterslose Autonome sind Sie.
    Es reicht, sagte sie. Und fügte hinzu: Für heute.
    Karl hatte einen Augenblick lang das Gefühl, er könne, wenn es gefährlich wurde, nichts mehr falsch machen. Vielleicht war er ein Instinkt-Tier. Wenn er den Wank bestieg, seinen Hausberg, dann erlebte er seit Jahrzehnten unvermindert, daß seine Kraft, sobald es aufwärts ging, zunahm und um so mehr zunahm, je steiler es aufwärts ging. Bergauf beschleunigen, das war seine Energie-Formel. Manchmal hatte er dann fast das Gefühl, er schwebe.
    Nachträglich lief das Gespräch noch einmal ab in ihm. War sie irritiert gewesen? Hatte sie in seinem letzten Satz Ironie gespürt? Daß er Precious Woods überhaupt erwähnt hatte, war richtig. Das bewies Informiertheit. Aber der letzte Satz! Bei Menschen, die sich älter fühlen, als sie sind, ist nichts so falsch wie die Erwähnung des Alters. Egal, wie man’s dreht und wendet. Er dachte an das Gedicht, das Frau von Beulwitzen verfaßt und auf Bütten herumgeschickt hatte.
    Ich bin sechzig. Glaubt es nicht.
    Schaut mir auf die Hände, nicht ins Gesicht.
    Seid nicht freundlicher, als ihr wart.
    Euch zu brauchen bleib mir erspart.
    Diesen Ton liebte er bei der Magistra von Beulwitzen. Von wegen keep your age a secret. Eine Woche später wieder ein Büttenblatt, das Gedicht darauf teilt mit, die Verfasserin habe noch nicht aufgehört, sechzig zu sein.
    Sechzig, ein Wort wie ein Grat.
    Wie soll man sich nicht daran schneiden?
    Ein Wort, das nur Ecken und Schärfen hat,
    und wir können’s nicht meiden.
    Dann kauft sie Aktien für zwei- oder dreihunderttausend Euro, die zehn Jahre lang nichts bringen. Das ist der reine Trotz. Er liebte diesen Trotz. Die Käufer solcher Edel-Aktien wollen nicht vernünftig handeln, sondern ethisch. Sie wollen der Erde etwas Gutes tun. Vor hundert Jahren hätten sie das Geld der Heidenmission gespendet.
    Daß er glaubte, überlegen zu müssen, ob er sich einer Kundin gegenüber falsch ausgedrückt habe! Also war jenes Gefühl, er könne, wenn es gefährlich wurde, nichts falsch machen, war seine ganze Instinkt-Chose nichts als Romantik plus Ideologie. Ihm konnte in jeder Sekunde, ob gefährlich oder harmlos, immer alles passieren! Er hatte immer genausoviel Mut, wie er Angst hatte. Sein Mut war ein Angstprodukt. Dieser Kampf zwischen seiner Angst und seinem Mut wurde nie entschieden. Es gab keine gleichmütige Stimmung. Mit jedem Jahr wuchs die Gefahr, mit jedem Jahr nahm die Angst zu, er könne am Ende sein. Aber so, wie die Angst zunahm, nahm doch auch sein Mut zu! Das mußte er doch hoffen. Oder nicht?
    Schluß jetzt, Herr Kahn, Sie verstoßen gegen die Regel. Die heißt: Untergehen liegt dir nicht.
    Daß man zur eigenen Art, sein Geschäft zu betreiben, Philosophie sagte, hatte Karl früh gelernt. Und gern. Die Angelsachsen hatten das Wort von dem Schwulst befreit, der es im Deutschen zu einer Fakultätsverschrobenheit hat werden lassen. Karl hatte seine Geschäfts-Philosophie mit jedem Jahr genauer kennengelernt. Er war nie dem Irrglauben verfallen, er sei es, der diese Philosophie erdacht, entworfen oder erfunden habe. Allenfalls gefunden hatte er sie. Entdeckt. In sich selbst. Es wurde dann immer mehr seine Philosophie. Mit allem, was er fühlen und denken konnte, war es jetzt seine Philosophie. Während die sogenannten Philosophen und ihre Anhänger mit Eifer, oft unnachsichtigem Eifer, ihre Philosophie für die beste oder einzig richtige hielten und sie deshalb verbreiten wollten, am liebsten auf der ganzen Welt, konnte Karl seine Philosophie keinem zweiten Menschen gestehen. Ja, gestehen! Das war ihm deutlich genug geworden: Seine Philosophie war nicht anerkennenswert. Noch nicht. Die hatte er, so gut es ging, zu verbergen. Er hatte erfahren müssen, daß

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