Angstblüte (German Edition)
anderen die Tätigkeit, mit der sie Geld verdienen, wichtiger ist als das Geld, das sie damit verdienen. Ihm war von Anfang an das Geld wichtiger als die Tätigkeit, mit der er es verdiente. Es gibt offenbar Berufe, die denen, die sie ausüben, gar nicht erlauben, daß sie sie ausüben, um Geld zu verdienen. Die Berufe haben offenbar einen Wert in sich. Das Geld, das damit verdient wird, muß eher verschwiegen als vorgezeigt werden. Das war Karl von Kahns Sache nicht. Politikern, Künstlern, Dichtern, Philosophen muß es ums Weltverbessern gehen. Karl von Kahn bedurfte keiner Umwege dieser Art. Daß einzelne sich berufen fühlten, die Welt zu verbessern, kam ihm vor wie eine Anmaßung. Er lebte von dem Gefühl, die Welt verbessere sich von selbst. Durch das, was alle von selbst taten. Daß das keine Philosophie war, wußte er auch. Die Diskussionen der Kulturfraktion bei Diego kreisten um nichts als Weltverbesserung. Am Anfang hatte er bei diesen Abenden und Nächten nie gewußt, ob er so tun mußte, als kenne er das, worüber hier geredet wurde, oder ob das etwas war, was man nicht kennen mußte. Wenn das Wort Diskurs fiel, hatte er Pause. Wegen Gegenstandsverdünnung. Sein Eindruck: Bei einem Diskurs muß immer das herauskommen, was hineingesteckt wurde. Keine Rendite. Fand er. Beweisen konnte er das nicht. Allmählich hatte er gelernt, daß es genügte, hier Publikum zu sein.
Erstaunlich blieb, daß auch Gundi, die im Fernsehen eine Stunde lang Wortströme produzierte, im Sängersaal eher stumm dabeisaß. Förmlich zu Diegos Füßen. Zu seiner Dekoration. Sie gab die Bescheidene, das war deutlich, weil jeder wußte, im Fernsehen dreht sie auf.
Für Karl von Kahn genügte es, Geld zu vermehren, das war seine Kunst, seine Berufung. Wie dem Maler die Welt zu einem Andrang von Motiven wird, so boten sich ihm, wo er hinkam, Möglichkeiten an, Geld zu vermehren. Er hatte allerdings gelernt, seine Freude am Geldvermehren keinen Menschen merken zu lassen, oder wenn das, weil die Freude ihn einmal hinriß, nicht gelang, sie wenigstens zu bemänteln. Als er eine Zeit lang ganz aufgeregt in neueste Schiffe investierte und das auch seinen Kunden empfahl, sagte er, wenn er vor Helen seine Erregung nicht mehr verbergen konnte, er sorge dafür, daß die mürben alten Schiffe, die da und dort auseinanderbrachen und die Küsten ganzer Länder mit ihren tödlichen Ladungen verseuchten, von den Meeren verschwänden. Seine Geschäfts-Philosophie, wenn er sie rücksichtslos bekennen würde, wäre für Helen unverständlich oder, falls sie sie verstünde, unannehmbar.
Wirklich hilflos fühlte sich Karl von Kahn gegenüber Politikern, die als gebildet galten oder als christlich oder als gebildet und christlich und die durchs Land zogen und solche Sprüche predigten: Das Kapital hat den Menschen zu dienen, nicht der Mensch dem Kapital. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nicht nur auf den Lippen, sondern, und das fand er schlimmer, im Herzen. Wenn schon drauflos formuliert werden soll, dann doch lieber mit Reverend Ike: Das Beste, was ihr für die Armen tun könnt, ist, nicht dazuzugehören.
Er hätte durch kluge Operation immer soviel verdienen können, wie er brauchte. Aber er brauchte Kunden. Seine Kunden hatte er erobert, wie man Kunden eben erobern muß.
Zum Beispiel Professor Schertenleib. Karl hatte vor sich auf der Autobahn Richtung Garmisch, als er unterwegs war nach Farchant zur wöchentlichen Wank-Wanderung, einen schweren Mercedes gesehen, dem links vorne etwas herunterhing und auf die Straße schlug. Karl sah’s, als er überholte. Also signalisierte er dem Mercedes, daß er auf die Haltespur einbiegen sollte. Der tat’s. Der Fahrer stellte sich vor, Professor Schertenleib. Er habe schon die ganze Zeit bemerkt, daß etwas nicht stimme, ein Geräusch, ein schlagendes. Was tun? ADAC anrufen? Er könne, beinamputiert, wie er nun einmal sei, nicht unter sein Auto kriechen. Karl kniete hin, sah, daß ein Kunststoffboden sich gelöst hatte und wahrscheinlich jetzt gleich ganz losgerissen worden wäre. Das hätte für das linke Vorderrad unangenehm werden können. Er holte aus seinem Auto das Schweizer Armeemesser, das er immer dabei hat, und schnitt, was herunterhing, weg. Also kein ADAC, sondern einfach morgen zur Werkstatt, die ersetzen das. Der Professor wollte dankbar sein. Das entspreche überhaupt nicht seinen Erfahrungen, daß sich jemand, der es nicht nötig hat, um einen kümmert. So wurde geredet und ein
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