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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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tägliche Brot, ohne den das Brot ungenießbar bliebe. Lüge ist kein moralisches, sondern ein linguistisches Problem. Ihn quält es, sein Arbeits-, sein Handlungs-, sein Lebensmotiv mit falschen Wörtern bezeichnen zu müssen. Er weiß nicht, warum er unter diesem Verfälschungszwang leidet. Er stellt es sich als eine Erlösung vor, alles so zu sagen, wie es ist.
    Mein Gott, wie lächerlich war es, als er Helen kennengelernt hatte, ihr, sich selbst und allen anderen zu beweisen, daß er sie nicht heiraten wollte, weil sie wohlhabend war. Geld zu erheiraten war ganz genau nicht seine Leidenschaft, sondern Geld zu verdienen. Er hatte Helen auf dem Tennisplatz entdeckt. Karl war damals Mitglied bei drei Clubs, am Cosima-Park, am Herzog-Park und in Grünwald bei Grün-Gold. Er wollte sehen, wie sich sein Schläger TOP FIT in den Münchner Clubs einführte. Daß es in der Stadt kein Sportgeschäft gab, das seinen Schläger nicht anbot, dafür hatte er gesorgt. Er hatte dieser Tennisspielerin zuschauen müssen, weil sie wirklich jeden Ball erreichte, auch wenn sie dann nicht viel damit anfangen konnte. Und daß sie jeden Ball erreichte, konnte nicht nur an ihrer Beweglichkeit liegen. Sie sah vorher, was die Gegnerin oder der Gegner jetzt gleich machen würde. Diese Fähigkeit, vor dem Ball dort zu sein, wo er auftreffen würde, und doch nicht so früh sich dahin zu bewegen, daß der Gegner seine Schlagrichtung noch ändern konnte, diese Fähigkeit, den Gegner zu erfassen, zu taxieren und ihm dann noch zuvorzukommen, hatte Karl von Kahn begeistert. Das war doch genau das, was er praktizierte. Ein erfahrungsgeschulter Instinkt, der dich unwillkürlich handeln läßt. Aus jeder Gefahrensituation strömt dir eine Handlungsanweisung entgegen. Dich lähmt keine Angst. Du hast Angst. Natürlich hast du Angst. Immer gehabt. Angst ist der Grund für alles. Angst macht dich empfindlich. Deine Angst blüht auf in dir, hat einen Duft, den spürst du als Droge.
    Als er versucht hatte, Helen vorzutragen, ihr Psycho-Tennis sei mit seinem Instinkt-Geschäft verwandt, hatte sie gesagt, sie höre das, verstehe den Wortsinn, aber wie das wirklich vor sich gehe, sein Instinkt-Geschäft, das bleibe ihr fremd. Das einzige, was sie verstehe: Sie wolle gewinnen auf dem Platz, und er wolle auch gewinnen.
    Sie ging ja auch, als er sie zum ersten Mal wahrnahm, als Siegerin vom Platz. Sie hatte mehr gegeben, als sie hatte. Das sah man. Ein rot verschwitztes Gesicht unter den kein bißchen zerzausten blonden Haaren. Auch ihr Gesicht war kein bißchen deformiert von der Anstrengung. Wahrscheinlich weil die alles beherrschenden, glanzvoll ausschwingenden Wimpern von Anstrengung nichts wußten.
    Er saß so, daß sie auf dem Weg zur Dusche und in die Garderobe dicht an ihm vorbei mußte. Er sah sie an. Sein Mund ging auf. Wie willenlos. Es kam ihm offenbar darauf an, ihr zu demonstrieren, daß er sie jetzt anschaute, als gehe sie als Königin des Augenblicks im bunten Scheinwerferlicht langsam eine sehr bequeme Treppe herab, um sich einem nach Tausenden zählenden Publikum gnädigst zu nähern und sich dabei mit jedem Schritt noch unverschämter zu öffnen; bei jedem Schritt ein bißchen einknickend und so zu lächeln, als wisse sie genau, wie unwiderstehlich sie sei, und das finde sie ganz lustig. So etwa hat er ihr nachher ihre Wirkung auf ihn dargeboten. Beabsichtigt hatte er das nicht. Gespielt hatte er nichts. Er hatte sich nur nicht gewehrt. Er hatte sich einfach gehenlassen, wie es sonst nicht seine Art war. Und sie hätte blind sein müssen, wenn sie das nicht gesehen hätte. Als sie geduscht und angezogen zurückkam, sagte er so, daß es rundum gehört werden konnte: Könnten Sie mich auch einmal so besiegen?
    Und sie: Ich spiele nicht gern gegen Männer.
    Und er: Fünfzehn zu null.
    Und sie: Sagen wir deuce.
    Und er: Gehen wir.
    Er war selber überrascht über die Festigkeit seines Tons. Eine Art Bestimmtheit, die er nicht verantworten mußte. Er tat, was er mußte. Er spürte, daß er ausdrückte, er könne nichts dafür. Es wurde nichts mehr gesprochen, bis sie bei ihrem Auto angekommen waren. Bevor sie einstieg, stellte er sich noch vor. Und sie sagte, sie sei Helen. Mehr sagte sie nicht. Diese Frau war verheiratet. Daß sie nur ihren Vornamen gesagt hatte, war eine Gefühlsleistung.
    Er kam heim, Henriette übte. Flöte. Auf Henriette wirkte das Flötenspiel wie auf ihn das Geldvermehren. Sie drehte sich weg von ihren Noten, breitete ihre

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