Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
1
E s hatte die ganze Nacht über gestürmt.
Heulende Böen waren um den Wagen getanzt, manchmal hatten sie sogar ein leises Singen in der Karosserie gehört. Wahrscheinlich Einbildung.
Kein Wunder, dass die Geister kamen, wenn man Stunde um Stunde in der Dunkelheit hockte und aus dem Fenster starrte, kaum zehn Meter vom Waldrand entfernt. Der Wind zerrte an den Bäumen, wollte sie aus der Erde brechen und mit sich fortreißen. Immer wieder war der Regen wie Gischt gegen die Scheiben gerast, und die Schläge hatten den Wagen erschüttert.
Kim war ab und zu eingenickt, aber dann hochgeschreckt, wenn Böen auf Blech und Glas hieben. Jetzt war es ruhig, die Dämmerung setzte ein. Nur der Regen spielte immer noch seinen Rhythmus auf dem Autodach.
Bernie schaute ihr beim Schlafen zu.
Sie war hübsch. Eine angenehme Kollegin. Zupackend und robust, aber dennoch weiblich. Er hatte Frauen in diesem Beruf immer skeptisch gesehen, aber Kim war dafür geboren. Sie konnte durch defensives Auftreten fast jede Situation beruhigen, hatte aber überhaupt kein Problem damit, massiv zu werden, wenn es nötig war. Und sie hatte Köpfchen, Ehrgeiz. Aus ihr würde noch was werden, da hatte er keinen Zweifel.
Vor fast genau einem Jahr hätten sie beinahe mal etwas angefangen, als seine Ehe schwer kriselte. Er verbrachte mit Kim ohnehin mehr Zeit als mit seiner Frau, war so etwas wie ein Mentor für sie geworden. Doch damals hatte sich ihre Beziehung für ein paar Wochen ins Gegenteil verkehrt. Kim hatte ihn dazu gebracht, offen über seine Gefühle und Nöte zu sprechen. Und es war alles aus ihm herausgesprudelt, so hatte er sich gar nicht gekannt. Sie verbrachten immer mehr Zeit miteinander, gingen gemeinsam laufen, tranken nach fast jeder Schicht ein paar Bier. Und redeten und redeten und redeten. Er hatte irgendwann geglaubt, dass es Liebe sei, sein musste. Und Kim hatte ihn nach dem Geständnis an der Hand genommen, und so waren sie eine Weile schweigend nebeneinanderher gelaufen, Hand in Hand. Er war so glücklich gewesen. Kims Hand in seiner, das war das Versprechen auf eine Zukunft voller Nähe und Vertrauen. Ein Neuanfang.
Doch dann hatte sie ihn gebeten, ihr jetzt einfach nur zuzuhören, bis sie gesagt haben würde, was zu sagen sei. Er hatte genickt. In den Wochen davor hatte Kim immer ihm zugehört. Aber jetzt redete sie lange, eindringlich und ohne Pause eine halbe Ewigkeit auf ihn ein.
Dass er ein toller Mann sei, dass sie ihn als Kollegen sehr schätze, dass er ihr alles beigebracht habe, was man in der Ausbildung eben nicht lernte. Dass er ein Freund für sie sei. Dass er um Gottes willen bitte nicht fragen solle, ob er zu alt sei oder nicht attraktiv genug, dann würde er kommentarlos eine Ohrfeige kassieren.
Dann war sie stehen geblieben, hatte auch seine andere Hand genommen und ihm tief in die Augen gesehen.
»Du weißt genau, dass es nicht um uns geht. Es geht um deine Ehe. Evelyn ist eine tolle Frau, ich mag sie total gerne. Du kannst auf Knien danken, dass du sie hast. Und dass sie unseren Job aushält.«
Seine Knie waren weich geworden, und er hatte gespürt, dass sich etwas in ihm zu verknoten begann.
»Ihr seid bald zwanzig Jahre verheiratet, ihr habt zwei erwachsene Kinder.«
Er hatte tief Luft geholt, wollte etwas sagen, aber Kim hatte ihm schnell den Finger auf den Mund gelegt.
»Du warst so ziemlich der einzige Kollege, der mich nie angebaggert hat. Du hast immer nur von Evelyn geredet und wie gut du es mit ihr getroffen hast und was ihr alles noch vorhabt, wenn die Kinder mal aus dem Haus sind. Jetzt sind sie aus dem Haus.« Sie drückte seine Hände fester und hob sie wie zur Beschwörung an. »Verdammt noch mal, Bernie. Genau jetzt fangen eure tollen Jahre an, und du willst alles hinschmeißen? Gib das nicht auf. Sag deiner Frau mal alles, was du mir in den letzten Wochen gesagt hast, und dann wart ab, was passiert.«
Er hatte es, während Kim sprach, eine Weile unterdrücken können, aber dann war der Damm gebrochen, und er hatte minutenlang schluchzend in ihren Armen gelegen, während sie seinen Rücken sanft streichelte.
Nur zwei Wochen später hatten er und Evelyn den ersten Termin in der Paartherapie.
»Richard eins vier für Richard eins eins.«
Er griff nach dem Mikro des Funkgeräts und meldete sich.
»Richard eins vier hört. Was geht, Cläuschen?«
»Schön, dass ihr wach seid. Ein grüner Skoda-Kombi, mit mindestens zwei Personen, war fast an unserem Kontrollpunkt und hat dann
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