Angstblüte (German Edition)
dazu . Und findet hin. Irgendwo in Tutzing am Hang. Daß Helen sich nicht im geringsten aufgelegt fühlte, ihres Vaters Nachfolgerin zu werden, hatte dem Vater einen endgültigen Schmerz zugefügt. Bis zum Schluß hatte er gehofft, sie besinne sich. Auch der Schlösserverwalter wollte sie als Direktorin und wahrscheinlich sich als Direktor sehen. Lieber übernehme sie gleich ein Altersheim, als sich über die Wehwehchen dieser Klientel zu beugen. Der Vater war gestorben. Helen verkaufte. Verkaufte aber nicht alles. Das eingewachsene Gartenhäuschen samt kleinem Garten drumrum behielt sie. In einem Brennerei genannten Hinterraum des Häuschens zaubert sie jedes Jahr zweimal, nämlich am 21. Dezember und am 21. Juni, ein Getränk. Wielands Trunk . Helens Vater hat das Rezept von einer Reise aus Georgien mitgebracht, vielleicht auch noch weiterentwickelt. 10 Liter Rémy Martin, 3 Kilogramm Knoblauch, wieviel Pfund Wacholderbeeren, wieviel Pfund Honig, wieviel Pfund Kümmel, der deckt den Knoblauchgeruch zu, und was sonst noch reinkam, vor allem, wie der Knoblauch in der von Dr. Wieland selbst konstruierten Presse gepreßt und wie das Ganze dann gesotten und abgefüllt wurde, das blieb Helens gehütetes Vatererbe. Aber dem Sanatoriums-Besitzer sind jährlich mindestens 30 Flaschen Wielands Trunk vertraglich zugesagt. Für gutes Geld. Das Getränk ist, schon weil es nie genug davon gibt, heftig gefragt. Und daß Karl und Helen von allen Krankheiten gemieden werden, führen sie auf die zwei Gläschen Trunk zurück, die Helen jeden Morgen zum Frühstück einschenkt.
Zu einem Geburtstag hatte Helen ihm Guy de Rothschilds von ihm selbst verfaßte Lebensbeschreibung geschenkt. Sie hatte das Buch nicht gelesen, der Titel genügte ihr: Geld ist nicht alles . Wenn man’s hat, sagte Karl. Wenn du das Echo einer Trivialität wirst, bist du nichts als diese Trivialität. Aber dann sagte er noch: Wenn man’s hat und vermehrt es nicht, wird es weniger. Also gibt es jenseits aller sonstigen Begründungen einen Zwang zur Geldvermehrung. Es sei denn, man sei einverstanden, systematisch beraubt zu werden.
Jedesmal wenn Helen Erewein vom Stigma der Erfolglosigkeit gezeichnet sah, fühlte sich Karl mitgemeint, wagte aber nicht, das zu gestehen. Seine Erfolglosigkeit war eine andere als die Ereweins. Helen hatte dem groben Fortpflanzungswillen des Schlösserverwalters tapfer widerstanden. Zuerst hatte die von Thea Bauridel betreute Doktorarbeit die Dauerausrede geliefert. Dann der Aufbau der Eheberatungspraxis in der Ottostraße. Nachträglich war sie nicht mehr sicher, ob das nur Ausreden waren. Sie wollte den Titel und sie wollte die Praxis. Und sie wollte ein Kind. Diesen Wunsch schob sie auf. Dem Schlösserverwalter gegenüber sei es ihr leichtgefallen, diesen Wunsch aufzuschieben. Als sie mit Karl von Kahn im Hotel am Schloßgarten in Stuttgart im Zimmer 712 die Türe verschlossen hatte, drehte sie sich um und sagte: Ich will ein Kind von dir. Und er sagte: Ich fühle mich geehrt. Wann immer Helen diesen Satz sagte, er führte ins Bett. Entweder gleich oder sobald es eben ging. Aber – und das war sein Stigma der Erfolglosigkeit – Helen wurde nicht schwanger. Helen konnte ihren Satz nie ohne Zuversicht sagen, und Karl nahm diesen Zuversichtston jedesmal auf. Die Formel drückte inzwischen aus: Ich liebe dich. Und das ohne jedes trotzdem. Und Karls Antwortsatz signalisierte: Das grenzt an Glück.
Jetzt mußte er aufstehen und sich unter der Dachschräge auf den Racket Chair setzen. Den hat Helge Vestergaard Jensen 1955 geschaffen, und Diego hatte ihn aus Maastricht mitgebracht. Ein Sitzkunstwerk, das die zwei vorderen Beine in sanftester Rundung an der Sitzfläche vorbeiführt und oben den genauso sanften Bogen der Rückenlehne ergibt. Die Fläche der Lehne ist eine Tennisschlägerbespannung, und in die ist ein überdimensionaler weißer Kreis eingearbeitet: der Ball. Das war eine Diego-Reliquie, erinnernd an die Zeit der Zugewandtheit. Karl nahm fast feierlich Platz auf dem Racket Chair .
Er ließ jetzt zu, was jetzt zu denken war. Diego hat den Trautmann Titan- Verkauf abgemacht gehabt, bevor er Karl verständigt hat. Er hat gewußt, Karl wird unterschreiben. Das Krankenhaus-Theater war Gundis Idee. Diego hat sicher gesagt: Nötig ist es nicht, Karl unterschreibt, aber wenn du meinst, bitte. Und daß es Gundis Einfall war, zeigte ihr Satz und ist darüber so erschrocken, daß er sofort gekotzt hat .
Diego hatte in
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