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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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österreichisch, unehelich, hoch droben, unbelangbar hoch, von Schwarzburg zu Schwarzburg, nicht zu verwechseln mit dem Opportunistenclan von Schwarzenberg.
    Als Karl das erste Mal von Graf Josef in die Suite gebracht worden war, hatte er entschieden, diesem Herrn nie ein Trinkgeld in die Hand zu drücken. Der hätte es ihm vor die Füße werfen müssen. Benedikt Loibl nannte Graf Josef, wenn er ihn erwähnte: Meine Sprechanlage. Tatsächlich war Loibl ein stiller Mensch. Auch leise. Aber dazu noch still.
    Karl war schon vor acht eingetroffen, weil er sich umziehen wollte, bevor Joni Jetter, falls es sie gab, ankäme. Den Anzug, den er an diesem Abend tragen wollte, hätte Helen nicht sehen dürfen. Sie hätte gefragt: Warum jetzt auf einmal dieser Anzug? Er hätte nicht antworten können, seine ganze Sorglosigkeitsschau wäre gescheitert. Er hatte diesen Anzug seit Jahren im Schrank. In Zürich gekauft. Mit Diego in Zürich. Zur Cézanne-Ausstellung. Diego im Zweireihigen. Fast weiß, aber noch gestreift, ein bißchen zu sehr. Das war eben Diego. Karl sah sofort, daß er versagt hatte. Diego, Zürich, Cézanne, und er im faden Hellgrau, uni, wenn auch mit einer Krawatte, auf der sich Schwarz und Weiß in einem verzehrenden Kampf befanden. Also lieh er sich von Diego zweitausend Franken, bat um einen einstündigen Urlaub und kam zurück mit diesem Anzug: Leinen und Seide im lichtesten Blau, darin ahnbar weiße Linien, ein Hemd, in dem, wer wollte, einen Hauch von Rosa entdecken konnte, und die Krawatte ein Ausbruch von kleinsten Farbteilchen. Sie kamen alle aus einer zentralen Stelle und flogen einem in vielen Farben entgegen. Er hätte das mit einer Scheckkarte zahlen können, aber es war ihm plötzlich so eingefallen: Er wollte sich das von Diego zahlen lassen, er wollte Diego Geld schuldig sein. Es war ein Gefühlsüberfall gewesen. Als er nachher ins Pfauen -Cafékam, wo Diego saß und las, sprang der nicht auf und rief etwas, sondern schaute auf die Uhr und sagte: Fast pünktlich. Das war so enttäuschend, daß Karl, was er da gekauft hatte, nicht mehr anziehen konnte. Heute wollte er genau das tragen, was für Diego zu fein gewesen war.
    Er hielt sich unten auf, er wollte, wenn sie ankam, auf sie zugehen. Gewissermaßen ganz unverlegen. Vielleicht konnte er ihr gegenüber die Irrealitätsfrequenz durchhalten. Immer so tun, als sei sie es nicht wirklich oder als sei es wirklich nicht sie. Zumindest: Als glaube er einfach, daß es nicht sie sei beziehungsweise daß sie es nicht sei.
    Als er sie herkurven sah, warf er sich vor, daß er hätte voraussagen müssen, sie werde in einem solchen Cabriospielzeug von BMW ankommen. Das gehörte doch zu seinem Beruf, Menschen immer über das hinaus, was sie gerade als Erscheinung boten, fortzusetzen. Jemandes Automarke und -modell vorauszusagen war das mindeste.
    Da es jetzt nicht nur regnete, sondern schüttete, stand Graf Josef schon neben ihm, reichte ihm einen Schirm und war mit seinem Schirm vor ihm am Auto, um Joni trocken unters Vordach zu bringen. Dann holte er ihre zwei Gepäckstücke, ging voraus. Joni sagte, mehr lippenpantomimisch als hörbar: Ein Schatz. Karl nickte.
    Als sich Graf Josef mit dem zu ihm gehörenden Gestenaufwand verabschiedet hatte, sah sich Joni belustigt um. Karl distanzierte sich aber nicht von diesem zwischen Orange, Gelb und Braun spielenden Hotelbarock. All die Quasten, Schnüre, Troddeln, die Vorhanglasten, die Appliquen und die vom edlen Stilwillen verkrümmten Stuhl- und Tischlinien. Karl liebte das Nachgemachte. Wie es aus dem Wohnteil in den Schlafteil hinübergeht, das macht das Bett zur Bühne und das Ganze zum Theater.
    Karl sagte, sie passe gut in diese Suite.
    Das könnte, sagte sie, eine Beleidigung sein.
    Du so echt, das so nachgemacht, das knistert, sagte er.
    Routinier, sagte sie.
    Anfänger, sagte er.
    Sie packte aus, hängte mehrere Kleidungen in den Schrank, ging ins Klo, streifte, was nötig war, hinunter, setzte sich und pinkelte laut. Dann kam sie zu ihm an die Fensterfront, stellte sich neben ihn, lehnte ein bißchen den Kopf herüber und sagte: Schön. Das konnte nur heißen, daß sie den heftigen Regenguß mochte, weil er und sie zuschauten.
    Was du jetzt nicht siehst, ist der See, sagte er.
    Zum Glück hatte er sich umgezogen, als sie noch nicht zuschauen konnte. Daß er ihr beim Umkleiden zuschaute, schien sie zu genießen. Er betonte sein Zuschauen. Sie sollte bemerken, wie gern er ihr zuschaute. Dann war sie so

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