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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Strabanzer, los, sag’s dazu, was du mir über das Projekt aller Projekte Tag und Nacht bösartig ins Ohr raunst.
    Tragikschnulze, sagte Joni.
    So geht’s zu bei uns, sagte stolz Strabanzer.
    Ein Handy meldete sich. Joni sprang auf, ging so weit wie möglich vom Tisch weg. Strabanzer sagte: Immer diese Umweltverschmutzungen.
    Joni kam zurück. Der Mund zog sich weit nach rechts, die Augenbrauen bogen sich hoch in die Stirn. Eine Grimasse des Ekels und der versuchten Abwehr des Ekels.
    Miriam, sagte sie.
    Was ist denn mit Miriam, sagte Strabanzer in einem weichen, fürsorglichen Ton, der bei diesem Dauerschnarrer sensationell wirkte.
    Miriam hat Pocken in der Scheide, sagte Joni.
    Windpocken, sagte Strabanzer begütigend.
    Sie wendete sich Karl zu. Er merkte, daß er jetzt etwas sagen mußte, was ihr mehr half als das von Strabanzer gespendete Wort.
    Er sagte: Schrecklich.
    Sie sah ihn intensiv an und sagte: Genau. Und lächelte schon wieder.
    Zum Wohl, sagte Joni, die Herren erwiderten.
    Es wurden dann drei Flaschen Rioja. Karl von Kahn gestattete nicht, daß Strabanzer bezahle. Der wehrte sich nicht lange.
    Karl sagte: Immer bezahlt der Ältere.
    Schon wieder ein Spruch, sagte Strabanzer. Ganz unphilosophistisch ist der auch nicht.
    Vielleicht bezahlt immer der Ältere, aber der Jüngere zahlt immer drauf, sagte Joni.
    Das Leben ist zu kurz für Kalauer, sagte Strabanzer.
    Karl sagte: Das Leben ist überhaupt zu kurz.
    Und Strabanzer: A la vejez viruelas.
    Joni faßte zusammen: Wir bedanken uns für die Einladung.
    Shit, sagte Strabanzer. Können Sie mir sagen, warum wir statt Scheiße jetzt shit sagen.
    Karl von Kahn sagte, im Deutschen sei uns alles zu nah. Das tut doch weh, sagte er, wenn alles so nah ist. Ich bin für Distanz. Das sagte er nur noch zu Joni hin.
    Sie sah ihn an, ihr linker Mundwinkel zuckte, dann brachte sie wieder Ruhe ins Mundwerk, sah aber Karl an, als staune sie. Oder war es nur Neugier? Nein, sie staunte. Ein bißchen.
    Wo wirst du sein, wenn es schneit, dachte er.
    Und schaute weg, bevor sie wegschauen konnte. Mein Gott, diese Sorte Blickgeplänkel gehört zum Vergehendsten schlechthin. Nichts wirkt weniger nach, von nichts bleibt weniger als von dieser Sorte Blickgeplänkel.
    Und Strabanzer wieder: Jetzt reicht’s. Karl stand auf und sagte: Gut gesagt.
    Er behielt Jonis Hand nicht zu lang in seiner Hand und zeigte ein Lächeln, das er konnte. Es hieß, daß alles bestens sei. Joni lächelte jetzt so nachsichtig wie eine Buddhabüste. Karl versprach Herrn Strabanzer, er werde sich melden, sobald er sich über eine Beteiligung im klaren sei.
    Ach, stimmt ja, sagte Strabanzer, wir wollten etwas finanzieren, was war das wieder? Hahaha.
    Theodor Strabanzer wollte Karl in den leichten Sommermantel helfen. Der lehnte ab.
    Darauf Theodor Strabanzer tönend laut: Klar, Sie wollen nicht für einen alten Mann gehalten werden, schon gar nicht, wenn unsere Ruhrgebieterin dabei ist.
    Karl war froh, daß sie ihm nicht angeboten hatten, ihn im Auto mitzunehmen. Er brauchte jetzt die durch Wiesen und Wälder gleitende S-Bahn-Einsamkeit.
    Helen gegenüber blieb nichts anderes übrig, als noch einmal Ereweins Tod auszubeuten. Er muß jetzt allein sein. Am liebsten wäre er nirgends gewesen. Dazu braucht man Geld. Geld absolut. Nicht diese oder jene Summe. Diese oder jene Summe kann sich immer wieder als zu gering erweisen. Gegen Joni Jetter gab es nichts als Geld. Alles Geld der Welt. Beziehungsweise Geld überhaupt. So radebrechte er sich unter den auf ihn niederschauenden Astaugen vorwärts.
    Auf der Suche nach einer Empfindung, bei der er bleiben konnte, stieß er auf Strabanzers Haltung ihm gegenüber, auf diese unausgesprochene, aber in jedem Wort, in jeder Geste, in jedem Ton spürbare Überheblichkeit gegenüber dem Älteren. Warum hatte er sich das gefallen lassen? Warum konnte er diesem Strabanzer nichts übelnehmen? Nicht einmal diese andauernd spürbare Überheblichkeit. In jeder Nuance wird ausgedrückt, daß von dir nicht wirklich etwas erwartet werden kann. Mildernde Umstände. Das kennst du. Von früher. Genauso hast du dich Älteren gegenüber benommen.
    Strabanzer war nicht anders als alle anderen. Dem war das so wenig bewußt wie allen anderen, die einen Älteren immer behandeln, als müßten sie dem etwas nachsehen. Wenn Joni Jetter nicht dagewesen wäre, wenn sie nicht durch Blicke, Gesten und noch mal Blicke, überhaupt durch demonstrative Anwesenheit ihm deutlich gemacht hätte, daß

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