Angstblüte (German Edition)
weit. In ernstem Ochsenblutrot. Ein für ihre Verhältnisse legerer Kragen. Der Mondstein verschwand. Das, worauf es diesmal ankam, war der breite schwarze Lackgürtel, der lose auf ihren Hüften saß und nichts hielt als sich selbst. Das dunkle Rot, der glatte, feste Stoff, der Gürtel und auf den Schultern zwei spielerische Schulterstücke machten aus Joni eine Offizierin der schönsten Armee der Welt.
Sie saßen dann so, daß sie den Ludwig-Spruch lesen konnten, den Joni gestern auswendig gewußt hatte. Sie sagte ihn noch einmal, ohne hinzuschauen:
Das Glück ist wirklich, wo ich es empfinde.
Im Denken findt der Mensch des Wissens Leere.
Um glücklich seyn zu können, muß er fühlen.
Karl fragte: Könnte man das so sagen, daß hörbar wird, seyn steht da mit Ypsilon?
Wie soll ich das machen, fragte Joni.
Daran denken, sagte Karl.
Du Resischör, du, sagte sie.
Sie hatte Benedikt Loibl imitiert, weil der schon dastand und Brunnenkresserahmsuppe empfahl, Lammgigot aus dem Ofen an Thymianjus, dazu Rahmpolenta und Ratatouille. Zum Trinken seinen besten Zweigelt. Zum Lammgigot sei der Pflicht.
Durch nichts verriet er, daß Joni Jetter und Karl von Kahn am Abend zuvor auch schon dagewesen waren. Allenfalls, wie sehr er den Zweigelt empfahl, hätte als eine überaus zarte Kritik an der gestrigen Rioja-Orgie verstanden werden können.
Karl fragte Joni, ob man das so deuten könne.
Und sie: Überinterpretiert.
Er sagte: Etwas Friedlicheres als uns zwei kann es in der ganzen Welt nicht geben.
Und sie: Und etwas Unschuldigeres auch nicht.
Ich gestehe, sagte er, …
Bitte nicht, sagte sie.
Du hast recht, sagte er.
Was tust du, wenn du arbeitest, fragte sie.
Finanzdienstleister, sagte er.
Mein Großonkel war Fahrdienstleiter, sagte sie, in Ennepetal.
Da bin ich, sagte er, als ich in Bonn studierte, immer ausgestiegen zum Wandern.
Warum in Ennepetal, fragte sie.
Da habe er, sagte er, zum ersten Mal das Gefühl gehabt, im historischen Germanien zu sein. Und mußte noch dazusagen, er sei kein Leiter, sondern ein Leister.
Was tust du, wenn du leistest, fragte sie.
Weißt du noch, was du im Sommer 1992 gemacht hast, fragte er.
Leider, sagte Joni. Der Sommer fing an mit dem Abschlußball. Sie in Angelas eisgrünem Missoni-Jersey. Angela, ihre ältere Schwester, Cutterin, verdiente schon richtiges Geld. Angelas Missoni-Jersey habe sie noch dicker gemacht, als sie damals gewesen sei.
Du und dick, sagte Karl.
Und sie: So groß wie breit. Marga und Ulla tanzten zwei selbsterdachte Nummern, Strandleben und Ganz alte Männer . Beide blond, schön, locker, total sexy. Die wurden nachher natürlich geholt und geholt. Bei ihr kam höchstens mal schnell ein Dürrer oder ein schüchterner Zitterer vorbei. Sie hatte mitgeprobt für die Tanznummern. Lief dann nicht. Das war der Abschlußball, dann das Leben. Ging grad so weiter. Gleich der erste hatte, ohne ihr etwas zu sagen, nach vier Wochen der reinen Verliebtheit ihre Freundin auf dem Motorrad, und wenn die ihr, der Radfahrerin, begegneten, gab er Gas. Immerhin, hat sie gedacht, er hat ein schlechtes Gewissen. Sie also nächtelang: Warum-warum! Dann schleimt sich einer an, daß sie geglaubt hat, glauben mußte, es handle sich um Schicksal. Jungkomponist. Die Haare auf Beethoven gemacht. Überhaupt à la Beethoven. Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre jubelte der in der ersten Nacht in seiner ärmlichen Bude. Er werde über ihre Brüste ein Konzert für vier Saxophone und sechs Schlagzeuge schreiben, und sie werde sich mit ihm und mit ihren Brüsten vor dem Uraufführungspublikum verbeugen. Er rief, wenn sie bei ihm war, seine Mutter an und sagte: Mutti, endlich! Endlich bin ich angekommen. Bei ihr! Und ihr, Joni Jetter, werden alle seine Kompositionen gewidmet sein. Du wirst sie mögen, Mutti! Gute Nacht, liebste Mutti, je t’embrasse. Nach vier Monaten ein Brief: Mutti sei plötzlich krank geworden, Mutti brauche ihn jetzt, er wisse nicht, wann er, ob er überhaupt zurückkomme, je t’embrasse, Hector! Immer mit -c-. Sogar wenn er sich vorstellte, sagte er immer: Hector mit -c-.
Dann eben Uni, Ruhr-Uni. Vier Semester Geschichte und Englisch. Surrealistisches Kasperltheater. Im Mittelalter war der Mensch am freiesten, und was die Offiziere im Punischen Krieg für Hosen anhatten. Sie rennt, weil sie immer zu spät dran ist, in den falschen Seminarraum, statt bei Shakespeares Sonetten landet sie bei der Museumspädagogik, setzt sich, weil sie nicht zugeben will,
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