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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Vorschrift.
    Geflohen. Zum Arbeitsamt, Woche für Woche, obwohl sie sofort gesehen hat: Das wird nichts. Ein Büro, so unmäßig niedlich und nett, daß sie gleich wußte: Die sind vor allem an der Pflege der Büroausstattung interessiert. Sie hat gehört: Ausbildungsförderung. Fürs Sprachenlernen. Die Sachbearbeiterin: Das gibt’s nur in Ausnahmefällen. Ja, was sind das denn für welche? Na ja, das kann sie jetzt auch nicht so aus der Lameng heraus konstruieren, eben Ausnahmefälle. Ja, aber was für welche denn? Also nicht die Regel, das läßt sich nicht so leicht eingrenzen, nicht wahr. Und sie: Wenn die Nichte des Kultusministers käme, wär das dann so ein Ausnahmefall? Da wird die aber barsch.
    Wieder geflohen. Schwester Angela sagte: Geh nach München. München, das ist Film, Fernsehen, Theater. Also hin. Private Schauspielschule. Der Schulchef heißt Oliver Keller-Scheel. Aus über sechzig Bewerbungen, sagt er, hat er neun genommen, sieben Mädchen, zwei Jungs. Und sagt gleich dazu: Unter seinem jetzigen Namen ist er in keinem Lexikon zu finden. Das sagte er, als lebe er mit einem gefährlichen Geheimnis. Nazi wahrscheinlich. Den Nazi erkennst du am besten an seinen Widerstands-Anekdoten. Seine Lieblingsanekdote: Marianne Hoppe sollte einem Schauspielerkollegen, der mit einer Jüdin verheiratet war und deshalb an Nazifeiertagen nicht flaggen durfte, im Namen von Gustaf Gründgens einen Brief schreiben, in dem Gründgens dem Kollegen empfahl, trotzdem zu flaggen. Als Gründgens den Brief durchlas, lachte er auf: Da schau her! Beim Schlußgruß hatte sie statt Heil Hitler Heil Hiller geschrieben, hahaha. Oliver machte Sprache und Körper, seine Schwester Isolde, die aber wahrscheinlich seine Frau war, Gesang. Die sofort zu Joni: Deine Stimme ist erledigt. Zuviel geraucht. Joni ist vorerst nicht mehr geflohen. Das Geld verdiente sie sich hinter den Kulissen, Kabelträgerin, Statistin. Drei Jahre lang. Dann eine Art Prüfung und ein Diplom ohne Status.
    Der genaueste Ausdruck dieser biographischen Durststrecke war der pausbäckige Regieassistent, der einen etwas belebteren Beischlaf als zu Hause brauchte. Das hätte ein Einnächter bleiben müssen, zog sich aber hin, weil der wirklich gut weinte, sie mußte mit heim zu dem, seine Susanne mußte ihr das Zweijährige in die Arme legen, aber als der dann von einem Dreier schwärmte, floh sie. Ließ sogar ihren Schirm bei denen, den kriegte sie nie wieder. Erstaunlich, daß die genauso pausbäckige Susanne den Dreier mitgemacht hätte.
    Es folgte der zweite Akademiker. Bertram Fürst, der sich in allem Ernst als Fürst Bertram vorstellte und in der Betonung mit beiden Bedeutungen spielte. An der Bar, in der Pause, im Prinzregententheater, sagte er zu ihr, ihr Mund sei zu schön, um so etwas zu trinken, und bestellte ihr ein Glas Champagner. Tat so, als wolle er nicht mehr als ihr Mineralwasser durch Champagner ersetzen. Keine Konversation mehr bis zum Pausenschluß. Aber er beobachtete, ob sie den Champagner trinke. Als sie das Glas an ihren Mund hob, hob er sein Glas auch. Ein unausgesprochenes Zum Wohl. Dann fügte es sich, daß er eine Reihe hinter ihr saß. Später sagte er, er habe sie schon vor der Pause beobachtet, nur deshalb habe er sie angesprochen und so weiter. Eine mit historischen Möbeln ausgestattete Fünfzimmerwohnung in der Franz-Josef-Straße, im obersten Stock, plus Dachgarten, und das war nur seine Stadtwohnung, Frau und Kinder, zwei, wohnten, lebten draußen im feineren Grünwald. Er war Herr von hundert Leiterplatten für jede Art Elektronik, Folientastaturen, Bediensystemen, die ließ er produzieren und verkaufen von weltweit renommierten Firmen. In jedem Haushalt Europas war er mit seinen Leiterplatten vertreten und in allen großen Häusern sowieso. Das alles sein Nebenberuf, Brotberuf. Mit ganzer Leidenschaft schrieb er Fernsehserien. Sieben hatte er, als er sie für sich gewann, schon geschrieben. Alle noch in der Schublade. Noch nie hatte ein Medienmensch reagiert auf sein Geschriebenes. Sie las, mußte lesen, alle seine Fernsehserien. Schnell genug merkte sie, daß er nur Zustimmung ertrug. Alles, was in Film und Fernsehen lief, war ebenso dumm wie verlogen, und eben weil das so war, wurden seine Bücher keiner Antwort gewürdigt. Aber das wird sich ändern, das wußte er. Die Menschheit macht einen Unfug immer nur eine Zeit lang mit, dann befreit sie sich. Der Fernseh-Unfug hat lange genug für Verdummung gesorgt. Die

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