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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Geschmacksrevolution steht bevor. Dann werden die unmusikalischen Deppen aus den Büros verjagt, und es werden Männer und Frauen einziehen, die nicht, wenn sie den Sender betreten, den Verstand beim Pförtner abgeben. Er war von ihren Männern der ansehnlichste. Einsvierundachtzig. Das ist die Größe, die sie am meisten schätzt. Ein Unterhalter. Wenn es ihm gelang, von einer Premierenfeier oder von einer Vernissage fünf oder zehn Leute abzuschleppen in die Franz-Josef-Straße, explodierten ihm die lustigsten und frechsten Sätze stundenlang aus dem Mund. Waren die Leute weg, sackte er zusammen, fluchte nur noch, verfluchte die gerade Gegangenen, von denen keiner nach seinen Serien auch nur gefragt habe, obwohl, daß er dergleichen fabriziere, doch deutlich genug geworden sei. Dann weinte er. Dann schlief er mit ihr. Er nannte es mausen. So wurde sie Mausi. Strabanzer, dem sie das einmal gestanden hatte, beutete das aus. Sie bildete sich wieder eine Zukunft ein. Man spürt, wie wenig einem diese eingebildete Zukunft entspricht, und trotzdem oder deswegen lebt man mit aller Gefühlskraft darauf zu. Was einem widersteht, wird geglättet, umgebogen oder einfach geschluckt. Der wollte immer gebadet werden von ihr mit Schwamm und Schaum, in seiner Spezialmischung aus Moschus und Lavendel, dann wurde geföhnt, dann geölt … Von heute aus gesehen muß sie gemütskrank gewesen sein. Als sie ihn irgendwann im Kino in einer Nachmittagsvorstellung ein paar Reihen schräg vor sich mit einer Schwarzmähnigen schmusen sah und ihn beim nächsten Termin in der Franz-Josef-Straße zur Rede stellte, rief er, das sei ungeheuer, sie, die er nahezu ernähre, regelmäßig beschenke und auch noch mause, sie, die immer nichts mitzubringen habe als sich selbst, die stelle jetzt auch noch Exklusivansprüche. Mit der Schwarzmähnigen sei es ihm siebenmal gekommen. In einer Nacht, bitte. Sie war hinausgerannt und davon. Das war Fürst Bertram, der Herr der Leiterplatten. Dann zur Beerdigung von Benno Brauer. Nur weil Oliver Keller-Scheel sagte, daß der sich erschossen hat, daß er den seit langem gekannt hat, daß er geglaubt hat, der erschießt sonstwen, aber doch nicht sich selbst. Und, sagte er, nirgends kann ein Schauspieler soviel lernen wie auf einer Beerdigung. Dann war dort tatsächlich Theodor Strabanzer. Reicht’s?
    Ich bewundere dich, sagte er.
    Das kannst du gar nicht oft genug sagen, sagte sie.
    Und nominiert für die beste Nebenrolle, sagte Karl. Dabei siehst du aus wie die Hauptrolle persönlich.
    Find ich auch, sagte sie.
    Es dürfte keine Nebenrollen geben, sagte er.
    Dann gäbe es keine Hauptrollen, sagte sie.
    Das Essen war vorbei. Joni rauchte weiter.
    Sie sagte: Eines ist sicher, ich stecke das Rauchen. Mein Vater ist mit neunundfünfzig gestorben. Kehlkopfkrebs.
    Karl sagte, dann rauche er eine mit.
    Und sie: Was die auf der Uni an Geschichte geboten haben, das langt noch nicht mal fürs Kreuzworträtsel. Entschuldige, ich habe zu lange geredet. Sommer 92, du hast mich nach dem Sommer 92 gefragt. Wer mich nach dem Sommer 92 fragt, tritt eine Lawine los. Warum hast du gefragt?
    Und er: Weil du gefragt hast, was ich tu, wenn ich arbeite. Aber das kann ich dir jetzt nicht auftischen.
    Sie gab nicht nach. Die Elendspartie ihres Lebens liege hinter ihr. Keine Flucht mehr nirgendwohin, sondern brav beim lieben und durchaus auch grauenhaften Theodor Rodrigo Strabanzer bleiben.
    Warum Rodrigo, fragte Karl.
    Barcelona, die katalanische Großmutter. Ein Großmamakind. Ende. Her mit deinem Sommer 92.
    Karl bestellte die nächste Flasche Zweigelt.
    Du betrinkst dich absichtlich, sagte sie.
    Ich trinke mich davon, sagte er.
    Feigling, sagte sie.
    Mindestens, sagte er.
    Also, sagte sie, Sommer 92.
    Das sei eben sein Sommer gewesen, sagte er. Er setze jetzt alles, was zwischen ihnen an Annäherung passiert sei, aufs Spiel. Nach ihrer vom Ruhrgebiet bis München rasenden Biographie sei, was er mit dem Sommer 92 zu bieten habe, nicht mehr anbietbar. Allerdings, er ist der, der im Sommer 92 das und das geleistet hat. Er verleugnet sich nicht. Ende. Würde Strabanzer sagen.
    Fang an, sagte Joni Jetter.
    Ja, gut, in diesem Sommer hat er gekämpft, kein Blutvergießen, ein Nervenkrieg, lebendiger kann er nicht sein, als er war im Sommer 92. Der Markt ist etwas Unvergleichliches. Am ähnlichsten ist noch das Wetter. Aber die Beobachtung des Wetters ist leichter als die des Marktes. Am Marktgeschehen sind unzählbar viele beteiligt. Im

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