Angstblüte (German Edition)
Sommer 92 hat jeder sehen können, daß das britische Pfund und die italienische Lira schwächelten. Sie galten im täglichen Marktgeschehen nicht so viel, wie sie nach dem Willen ihrer Regierungen hätten gelten sollen. Es sind die Regierungen, die Finanzverwaltungen, die Notenbanken, die glauben, sie könnten die Kurse ihres nationalen Geldes auf einem Niveau halten, das der heimischen Wirtschaft nützt. Es gibt aber nichts Internationaleres als den Markt. Im Sommer 92 hat er, haben viele gegen die politischen Machenschaften agiert. Die in London wurden nervös, der Markt merkt das und reagiert. Die Herren Premierminister, Finanzminister und deren Stäbe haben nicht zugeben können, daß der Markt das Pfund anders bewertet, als sie das gern gehabt hätten. Also hat er gleich mal einen Kredit von fast drei Millionen Pfund aufgenommen und diese Pfunde eingetauscht gegen Mark. Fast sechs Millionen Mark wurden ihm dafür gutgeschrieben. Dann zugeschaut, wie die Herrn in London durch ihre Rettungsmanöver dem Pfund den Rest geben. Sie haben es schließlich vom Markt nehmen müssen. Er bezahlt Ende September seine geliehenen Pfunde zurück, aber jetzt ist das Pfund viel weniger wert als im Hochsommer. Von den fast sechs Millionen Mark, die ihm für die geliehenen drei Millionen Pfund gutgeschrieben worden waren, braucht er für die Rückzahlung nur noch fünfeinhalb, also mit knapp fünfhunderttausend wird er belohnt dafür, daß er sich daran beteiligt hat, hochmögenden Politikern eine Markterfahrung zu verschaffen. Das war sein Sommer 92.
Und warum machen das nicht alle, fragte Joni.
Das frage ich mich auch, sagte Karl. Wieviel du einsetzen kannst, hängt allerdings davon ab, wieviel Kredit du hast. Aber ein bißchen Kredit hat jeder. Und wer dem Markt angehört, der geht immer über seine Kreditwürdigkeit hinaus. Wenn die Politik sich durchgesetzt hätte, wäre er ruiniert, teilruiniert, fast ruiniert gewesen. Aber die Politik kann sich gegen den Markt so wenig durchsetzen wie gegen das Wetter. Im Chinesischen gibt es für Risiko und Chance nur ein Wort. Das ist die Weisheit Chinas. Im Englischen nennt man, was er getan hat, nicht Spekulieren, sondern Wetten. They bet that the pound was overpriced against the D-Mark. Wetten klingt sportlicher als Spekulieren. Aber beide Wörter wollen nichts wissen von der Natur des Geldes, des Geldwerts. Das Geld hat ja an sich keinen Wert. Du mußt es in ein gewinnbringendes Verhältnis bringen.
Klingt philosophistisch, sagte Joni.
Da wußte er, daß er ihre Neugier falsch bedient hatte. Sie hatte ein Strabanzer-Wort benutzt. Bis jetzt waren sie hier gesessen, als wären sie beide zum ersten Mal hier. Benedikt Loibl hatte das Lammgigot mit Rahmpolenta so angeboten, daß nicht an die Thymianpolenta zum Lammcarré gedacht werden mußte. Auf dem Teller erinnerte die weiße, fast breihafte Rahmpolenta kein bißchen an die massiv gelbe Polenta von gestern. Ich bin ein Südtiroler, vergeßt das nie. Dann zweimal Polenta. Aber Joni schien von dergleichen nicht heimgesucht zu werden. Karl wußte, das war wieder der Augenblick, in dem nur die Angst ihn unwiderstehlich machen konnte.
Joni fragte flüsternd, ob er den am Tisch direkt unter dem Ludwig-Spruch kenne.
Karl schaute hin.
Joni bat sofort, er möge nicht so auffällig hinschauen. Das ist doch der … dieser Moderator, der von Sat 1, der immer die Leute ausquetscht.
Karl mußte gestehen, daß er den nicht kenne. Er probierte eine andere Nummer. Geld, Joni, sagte er, was ist es für dich, Geld.
Das, was mir immer fehlt, sagte sie.
Also vermehren wir’s, sagte er.
Ja, bitte, sagte sie.
Wir tun nichts anderes mehr als Geld vermehren, sagte er, einverstanden?
Prima, sagte Joni.
Geld ausgeben wird uninteressant, sagte er. Wir vermehren es. Ob sie darauf vorerst einmal mit ihm trinke.
Sie tranken auf die Geldvermehrung.
Geldausgeben ist nur wichtig, wenn du zu wenig Geld hast. Wenn du Geld vermehrst und vermehrst, mußt du überhaupt keins mehr ausgeben. Joni, jetzt fange ich auch an zu vergleichen. Joni Jetter, Künstlerin. Hör zu. Was ist der Erfolg in der Kunst?
Ankommen, sagte sie.
Wenn der Erfolg, egal wodurch, gesichert ist, zugesagt ist, garantiert ist, sagte er, was ist dann?
Da der Erfolg nie garantiert ist, erübrigt sich die Frage, sagte sie.
Joni Jetter, wenn der Erfolg garantiert wäre, wäre er dann für den Künstler noch genauso wichtig, wie wenn er ewig unsicher ist?
Wahrscheinlich nicht, sagte
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