Angstblüte (German Edition)
sie.
Und Karl: Was könnte dann das Wichtigste werden für den Künstler?
Die Kunst, sagte sie prompt.
Ja, jubelte Karl, die Kunst. Die Sache selbst. Und so ist es beim Geldvermehren, wenn nicht mehr gefragt werden muß, wozu. Wozu Geld? Die Wozu-Frage trivialisiert Geld. Bitte, nicht sagen: das Geld. Einfach: Geld. Aber – und jetzt lohnt sich der Vergleich mit der Kunst – wenn in der Kunst der Erfolg garantiert ist, wird die Kunst selbst das Wichtigste. L’art pour l’art heißt das, glaube ich. Der Erfolg wird sekundär. Aber beim Geldvermehren wird das Geldvermehren, auch wenn Geld ausgeben uninteressant geworden ist, kein l’art pour l’art, weil ja doch vermehrt und vermehrt wird. Das ist das Einzigartige, also Unvergleichliche des Geldes. Kunst um der Kunst willen weiß nicht mehr, ob sie noch Kunst ist oder schon Wahn. Politik um der Politik willen wäre asozial, zynisch, absurd oder verbrecherisch. Wissenschaft um der Wissenschaft willen wäre menschenfeindlich. Geld vermehren um des Geldvermehrens willen entgeht diesen Gefahren. Es produziert. Es produziert Wert. Und da ist keine philosophische Diskussion nötig, was das für ein Wert sei. Dafür steht die Zahl. Die Zahl ist die Hauptsache. Die Zahl ist der einzig gültige Ausdruck des Geldes. Die Zahl ist der Sinn des Geldes. Die Zahl ist das Geistigste, was die Menschen haben, was über jede Willkür erhaben ist. Die Zahl ist kein Menschenwerk. Die Menschen haben die Zahl nicht geschaffen, sondern entdeckt. Also sage ich dir zum Schluß: Das Absahnen, Gewinnmitnehmen samt Geldausgeben ist die triviale Dimension. Ich sage verständnisvoll: die irdische Dimension. Wer aber Geld spart und verzinst, erlebt den ersten Schauer der Vermehrung. Ich sage: der Vergeistigung. Der Zins ist die Vergeistigung des Geldes. Wenn der Zins dann wieder verzinst wird, wenn also der Zinseszins erlebt wird, steigert sich die Vergeistigung ins Musikgemäße. Das ist kein Bild, kein Vergleich, das ist so. Die Zinseszinszahlen sind Noten. Wenn wir aber den Zinseszins-Zins erleben, erleben wir Religion. Der Wirklichkeitsgrad, Vergeistigungsgrad des Zinseszins-Zins-Effekts macht die Zahl zum Religionstext. Und der drückt sich aus in der Zahl. Spürbar wird Gott. Auf jeden Fall entspricht ihm nichts so sehr wie die Zahl. Zum Schluß, Joni Jetter, kein Lammgigot ohne Utopie: Die Menschheit muß es so weit bringen, daß jeder eine Arbeit tut, die er um ihrer selbst willen tut. Dann hört das Entfremdungsgejammer auf. So weit wird es kommen. Dann entfallen alle vorläufigen Ersatzreligionen mit ihren uneinlösbaren Versprechungen. Das wird die absolute Erhabenheit des Geldes erst erweisen. Geld vermehren, um seiner selbst willen betrieben, ist nämlich die einzige menschliche Tätigkeit, die, auch wenn sie um ihrer selbst willen betrieben wird, unanzweifelbare Werte schafft. Bei allen anderen Tätigkeiten liegt der Wert darin, daß die Arbeit schon um ihrer selbst willen getan wird, egal, was dabei herauskommt. Nur bei Geldvermehrung um ihrer selbst willen entsteht, ausgedrückt durch die Zahl, Wert für alle.
Warum heißt das dann Wucherzins und gilt als unanständig, sagte Joni.
Usura heißt’s in Italien, wo wir das Geldvermehren gelernt haben. Wucher, entschuldige, wenn ich dir etwas sage, was vor lauter Museumspädagogik zu kurz kommen mußte, Wucher, das war der Zins, den der, der sich Geld geliehen hatte, dem schuldig war, von dem er sich das Geld geliehen hatte. Moment! Wenn er den Zins nicht zahlen konnte, wurde der Zins der Schuld zugeschlagen, und er mußte jetzt Zins für den nichtbezahlten Zins zahlen. Das war usura renovo. Geld war das Symbol des Mangels. Es gab zu wenig Geld. Geld war an sich etwas wert. Als Münze. Seit dem 7. Jahrhundert vor Christus kennen wir geprägte Münzen. Unser Zinseszins ist das historische Gegenteil, nämlich der Zins, den unsere Zinsen erbringen. Also Multiplikation schlechthin. Jetzt gibt es zuviel Geld. Es kommt schon mal vor, daß einer vierundvierzig Milliarden Dollar hat und nicht weiß, wohin damit. Das ist unsere Welt. Wohin mit dem Geld? Capito.
Und jetzt, sagte Joni, sagst du mir noch, was du tust, wenn du arbeitest.
Morgen, sagte Karl.
Und sie: Oh, morgen, schön.
3.
Was jetzt passieren würde, war nicht ernst zu nehmen. Alles in die Luft werfen, als wärst du ein Berufsjongleur in einem Weltklasse-Zirkus. Schon wenn der erste Wurf aus der Höhe zurückkommt und du nicht ein Zehntel dessen, was du hochgeworfen
Weitere Kostenlose Bücher