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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Schön.
    Er hatte das Gefühl, er dürfe jetzt nicht anders reagieren, als wenn sie ihm einen Traum erzählt hätte.
    Sie stellte sich zwischen ihn und das Fenster und sagte: Danke. Dieses Danke bog schon ein bißchen zur Konversation zurück.
    Jetzt mußte er ihr doch noch sagen, was er gestern abend an sie hingeredet habe über Zins, Zinseszins, Zahlen, Musik, Religion, das sei so aus ihm herausgekommen durch sie. Jetzt, nachdem er ihren Psalm gehört habe, würde er am liebsten sagen, das sei sein Psalm gewesen.
    Sie küßte ihn leicht und sagte: Komm.
    Sie gingen hinunter. Graf Josef empfing sie mit einer Geste, als habe er ein Leben lang auf niemanden als auf sie gewartet. Hören ließ er: Wünsche, wohl geruht zu haben. Und ging vor ihnen her, in die Kronprinzen-Stube, die größte der fünf Stuben.
    Überfüllt der Raum, überfüllt von Leuten, die zusammengehörten, ein Verein, Jahrgänger, fast nur Paare, Karl wußte: alle so alt wie er. Eine Reisegruppe. Rheinische Laute. Er hatte das Gefühl, er müsse Joni vor diesen Blicken schützen. Was sie über ihn dachten, sollten sie denken.
    Graf Josef führte zu einem Tisch am Fenster, auf dem Tisch das Schild: Reserviert für Exz. von Kahn. Geschrieben mit rotem, dünnem Filzstift. In Graf Josefs steiler, Bogen meidender Handschrift.
    Graf Josef verbeugte sich vor Joni, daß sie sich setze, sagte Madame. Und zu Karl: Herr Baron.
    Zuerst mußten Karl und Joni einfach zuschauen. Am Buffet bedienten sich die Alten so eifrig, daß Karl dachte: Sie blamieren das Alter. Es war ihm nicht recht, daß Joni hemmungslos zuschaute. Er hätte sie lieber abgelenkt, aber sie konnte sich nicht losreißen von diesem grauköpfigen Gemenge, das gemeinsam einen Laut produzierte, der rein rheinisch war. Wenn einer vorbeiging und trug einen Teller und auf dem Teller nichts als ein Glas Apfelsaft und ein Brötchen, dann wirkte das so feierlich, als gehe der zu seiner Hinrichtung. Die meisten hatten schon gefrühstückt, einige verabschiedeten sich bereits, also eine Busgesellschaft war das nicht. Ich freue mich wieder auf die schönen Fotos, sagte eine zu dem, der offenbar immer alles knipste. Immer wieder sagte jemand, er freue sich schon auf das nächste Jahr. Mehr als einmal wurde geantwortet, ob man das noch erlebe. Am verständlichsten war die alte Frau, die allein an einem Tischchen saß und ausdruckslos in den Raum starrte. Sie wirkte so abweisend, daß keine der Bedienungen in Versuchung war, sie zu fragen, ob sie lieber Kaffee oder Tee wolle.
    Karl hätte gern zum Ausdruck gebracht, daß er diese Alten, die er gern eine Herde genannt hätte, sympathisch finde, aber er, obwohl gleich alt, habe nicht das Gefühl, er gehöre zu denen. Er wußte nicht, wie er das sagen sollte.
    Vorerst holten sie sich nur Säfte. Erst als alle Rheinländer gegangen waren, bedienten sie sich. Joni wollte von allem.
    Karl wußte, daß er zu dieser Alters-Lawine Stellung nehmen mußte. Er sagte, solche Gruppen, egal woraus sie bestünden, wirkten immer komisch.
    Joni sagte, Karl gehöre überhaupt nicht zu einer solchen Truppe. Das waren doch Greise, sagte Joni.
    Karl sagte, es sei vielleicht angebracht, endlich über das Wetter zu reden.
    O ja, rief Joni und bot ihm eine Zigarette an.
    Er schüttelte den Kopf.
    Aber er habe doch gestern abend auch.
    Er erklärte, er sei weder Raucher noch Nichtraucher.
    Das ist praktisch, sagte sie. Te deseo. Das sage Theodor. Zu ihr. Manchmal.
    Karl sagte: Ich will dich ganz.
    Bis jetzt, sagte sie, hat jeder, der mich wollte, aus mir etwas machen wollen, was ich nicht wollte.
    Wie viele waren das, sagte Karl.
    Da geht es schon mal los, sagte sie. Könnte sein, ich will das nicht sagen und du willst es trotzdem wissen.
    Ja, sagte er, unbedingt. Weil ich dich ganz will. Ohne Vergangenheit bist du ein Fragment. Ich liebe dich, vergiß das nicht.
    Und sie: Ich weiß, Liebe darf alles. Themenwechsel! Du sagst nie: Hör auf zu rauchen. Das finde ich toll. Wenn du mir das Rauchen abgewöhnst, heirate ich dich. Ich schwör’s.
    Karl: Und wenn wir verheiratet sind, fängst du wieder an.
    Joni: Dann verbietest du’s mir.
    Karl: Ich hasse jeden Zwang.
    Joni: Meine Mutter hat jahrelang versucht, meinem Vater das Rauchen abzugewöhnen. Du hast gesagt, du möchtest mit mir etwas, was du mit keinem teilen mußt.
    Karl: Ja.
    Joni: Ich sage dir etwas, was ich noch nie einem Mann gesagt habe. Auch keiner Frau.
    Karl: Wie heißt er?
    Joni: Kurt.
    Karl: Du weißt, daß ich weiß,

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