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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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führte sich erkundigend auf. Sie machte mit. Die zwei Münder verselbständigten sich. Sie gerieten in einen Dialog, bei dem Joni und Karl Publikum wurden. Jonis Mund beendete den Dialog. Dann sagte sie: Du lernst es noch. So erfuhr er, daß sie mit seiner Art zu küssen nicht einverstanden sei, daß sie ihn aber für belehrbar halte.
    Danke, sagte er. Und wollte wissen, wer ihr Kuß-Lehrer gewesen sei.
    Der Dostojewskij, sagte sie.
    Wie hat er das gemacht, fragte Karl.
    Er war ein Künstler, sagte sie.
    Wie hat er das gemacht, sagte Karl.
    Laß es, sagte sie, du bist kein Künstler.
    Als sie dann nebeneinander die Zähne putzten, beide in den zur Suite gehörenden hellstgrünen Morgenmänteln, sagte sie, am meisten Pech habe sie mit ihren kleinen Zähnen. Jetzt sei ihr doch wieder der Zahnarzt gestorben. Der vierte Zahnarzt stirbt ihr einfach weg. Autounfall, Herzinfarkt, Gehirntumor, Leberzirrhose. Sie traut sich nicht mehr, zu einem Zahnarzt zu gehen. Das ist für den doch das Todesurteil.
    Karl sagte, ihre Zähne kämen ihr nur klein vor, weil sie einen so unanständig großen Mund habe. Es seien schlechterdings keine Zähne vorstellbar, die für diesen Mund groß genug wären. Und rannte aus dem Bad, um sich anzuziehen, bevor sie zuschauen konnte. Nie mehr mit ihr gleichzeitig ins Bad! Nie mehr mit ihr vor einen Spiegel! Er mußte damit rechnen, daß dieser Optik-Schock alles beendete, was gerade anzufangen schien. Noch nie hatte er so verwüstet ausgesehen wie gerade jetzt im Spiegel neben ihr. Sein Gesicht war kein Gesicht mehr, sondern eine Verschwörung.
    Joni kam aus dem Bad mit hochgesteckten Haaren zurück.
    Er sagte sofort: Oh!
    Und sie: Theodor, zum Beispiel, merke das nie, wenn sie die Haare anders habe. Dann umschlang sie ihn und sagte, er habe ihr einen schönen Sumpf angerichtet da drunten.
    In seiner Branche heiße, was am Ende herauskomme, die Ausschüttung, sagte er.
    Daß sie vielleicht schwanger werde, sagte sie, interessiere ihn nicht.
    Er habe ihr, sagte er, gestern vorsorglich mitgeteilt, daß er dafür sei, die Ausschüttung drin zu lassen, damit sie sich verzinse.
    Sie gehe nicht mehr so schnell ins Bett mit einem, sagte sie.
    Eigentlich wollte er fragen, ob das heiße, sonst sei sie immer ganz schnell wieder mit einem ins Bett gegangen. Und wagte es nicht.
    Als sie bei geöffneten Fenstern den Ammersee begrüßt hatten, fragte er, wo Theodor sei.
    In den Pyrenäen, sagte sie, angeln mit Rudi-Rudij. Aber Rudi-Rudij sei nur dabei, weil Theodor die Fische, die er gefangen habe, nicht töten könne. Dem Rudi-Rudij gönne sie ein paar ruhige Tage, der habe so viel an der Backe. Echt. Theodor spiele bei Rudi-Rudij immer die Diva. Wahrscheinlich ist er eine. Halbschwul sicher.
    Ob sie darunter leide, fragte Karl.
    Das geht mir am Arsch vorbei, sagte sie.
    Theodor würde das, sagte Karl, einen Kalauer nennen.
    Sogar einen rein seidenen, sagte sie. Er teile Kalauer nach Textilsorten ein.
    Sie lehnte sich, weil sie nebeneinander am offenen Fenster standen, an ihn und sagte in einem Ton, den er von ihr noch nicht kannte: Mir ist wieder der Kopf so von Gedichten voll.
    Er wußte nicht, was er darauf sagen sollte.
    Sie sagte, daß sie lieber als sonst etwas eine Lyrikerin wäre. Er sei der erste Mensch, dem sie das gestehe. Wahrscheinlich weil er nicht wisse, wovon sie rede, wenn sie sage, daß sie am liebsten eine Lyrikerin wäre. Dazu brauche sie einen Menschen, der keine Ahnung habe, aber Gründe, ihr zuzuhören, und eine Fähigkeit, an sie zu glauben.
    Und er: Ich habe die Fähigkeit, an dich zu glauben.
    Also, sagte sie.
    Mädchenpsalm. Frauenpsalm. Psalm.
    Sehnsucht geht barfuß durch jede Wüste. In meiner
    Achselhöhle stirbt der Schwan. Kopfputz
    bin ich des Wahns. Das Wutpferd ist gesattelt.
    Ich bin der Sommerschnee, mich gibt es nicht.
    Auf meinen Bäumen nehmen schwarze Herren
    Platz, Gericht wird zum Märchen, sie singen: Zum Glück
    gibt es dich nicht. Meine Bäume rauschen vor Zustimmung.
    Zum Glück weiß der Spiegel nichts von meinem Bild.
    Mich zu vergessen, solang ich noch vor ihm steh,
    hab ich ihn gelehrt. Nichts Schöneres, als vor
    dem Spiegel zu stehen und mich nicht zu sehen.
    Göttliche Gegenwart. Adieu, mein Tag.
    Der Schmerz fährt neue Reifen. Ich lege die Brille
    ab und pflanze die Antenne auf mein Grab.
    Ja, sagte er.
    Das klang weder fragend noch verlegen, noch unbestimmt. Es war ein festes, ein bekräftigendes, ein zweifelfreies Ja.
    Dann noch, ebenso fest:

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