Angstblüte (German Edition)
Sackgassen-Biographie wirklich aufnehmen in diesen Film. Fanden die nicht spannend. Weder Rudi-Rudij noch Theodor. Sie ist doch jedem Mann, der einen Abend lang ernsthaft auf sie einredete, entgegengestürzt. Jedesmal hat sie geglaubt, das ist es. Das ist er. Das muß er sein. Deshalb hat sie nie weniger gegeben als alles. Jedesmal. Und jedesmal Essig. Das sollte einen doch vorsichtig machen. Und was tu ich? Ich marschier mit dir nach Andechs. Und schütte mich dir hin. Das mit den Pocken in Miriams Scheide sei ihr Einfall gewesen.
Karl von Kahn blieb stehen, schaute fragend.
Ja, ihre Schwester habe angerufen, weinend, weil Miriam sich neuerdings weigere, in den Kindergarten zu gehen.
Und, fragte Karl.
Daraus sei bei ihr entstanden, sagte Joni, daß Miriam Pocken in der Scheide habe.
Logisch, sagte Karl.
Ich wollte wissen, wie du auf so was reagierst, sagte sie.
Weil er nicht noch einmal logisch sagen konnte, sagte er: Und, wie habe ich darauf reagiert?
Schrecklich, hast du gesagt, aber du hast nicht Miriam und ihre Scheide gemeint, sondern daß mich das so mitnimmt. Das ist mir sehr einfühlbereit vorgekommen.
Stimmt, sagte er. Und fügte ein riskantes vielleicht dazu.
Als der Weg richtig steil wurde, beschleunigte Karl. Je mehr er beschleunigte, desto leichter wurde er. Wieder dieses Gefühl zu schweben. Aufwärts zu schweben. Natürlich durfte er die Beschleunigung nur so weit steigern, wie der Atem es zuließ. Aber er mußte mehr zulassen, als er wollte. Von den wulstigen, den Weg kreuzenden Wurzelsträngen federte er sich richtig hoch. Und hoffte, daß Joni jetzt bald einmal um Tempo-Ermäßigung bitte. Er würde dieses Tempo durchhalten. Erstens liebte er Joni, zweitens war er trainiert. Daß sie nicht endlich rief, sie komme nicht mehr mit, erbitterte ihn fast. Wenigstens das Reden war ihr vergangen. Dann, als sie aus dem Wald traten, vor sich die weite Wiese bis zum Ortsrand, da erlosch bei Karl die Geh-Energie. Sobald es flach dahinging, empfand er keinen Grund mehr zu gehen. Er hätte sich am liebsten in die Wiese gelegt, aber die war vom Regen noch naß. Er mußte jetzt langsam gehen. Jetzt merkte er, daß er für seine Kondition zu schnell gegangen war.
Du hast ein ganz schönes Tempo drauf, sagte Joni.
Wart’s ab, sagte er, das Finale kommt noch.
Vor dem Kirchengipfel der Abstieg fast in eine Schlucht, dann der Aufstieg zur Kirche über die vielen Stufen, die er immer schon zählen wollte und heute wieder nicht zählen konnte. Droben merkte er, daß Joni an der Kirche vorbei gleich auf die Bräustüberl-Tür zusteuerte. Es tat ihm gut, ihr das zu verwehren. Drinnen ging er ihr so voraus, daß sie folgen mußte, wies ihr einen Platz in einer Bank, den Rest überließ er dem frommen Sturm dieser Kirche. Er merkte, daß Joni sich nicht wehren konnte.
Irgendwann sagte sie ihm ins Ohr: Hier darf man nicht rauchen, das ist gut. Und wieder nach einer Weile: Wenn du mir das Rauchen abgewöhnst, heiraten wir hier.
Er nickte heftig.
Nachher, in der Wirtschaft, als sie zusammen die Schweinshax’n-Portion aßen und dazu die Gläser stemmten, er einen Liter, sie einen halben, sagte sie, daß die mitten im Goldgestrahle thronende Maria auf ihrem zarten Kopf eine gewaltige Goldkrone trage, bitte, sei’s drum, aber daß dem lieben Jesuskind auf ihrem Knie auch schon eine kopfgroße Krone aufgesetzt worden sei, komme ihr vor wie Kindsmißbrauch.
Karl sagte: Laß doch.
Und sie: Was?
Er: Alles. Weil sie immer noch kritisch schaute, sagte er mit großer Handbewegung: Hier ist alles gut. Er brach ein großes Stück von der Riesenbrezen, an der sie beide aßen, hielt es ihr hin, daß sie zubeißen mußte, und sagte: Der Unterschied zwischen Benedikt Loibl und hier ist der Unterschied zwischen einer geschminkten Frau und einer ungeschminkten.
Prosit, Karl, sagte Joni.
Prosit, Joni, sagte er. Auf Kurt.
Auf Kurt, sagte sie.
Längeres, ununterbrechbares Schweigen. Dann mußte er sagen, daß es jetzt Zeit sei, zu Hause anzurufen. Und in der Firma werde er sicher seit zwei Stunden als vermißt gemeldet.
Bitte, sagte Joni.
Karl spürte, daß er für diese zwei Gespräche nicht aufspringen und fünf Meter ins Abseits rennen durfte.
Frau Lenneweit nahm entgegen, daß er erst morgen und morgen erst gegen elf zurück sein werde. Er wunderte sich selbst darüber, daß er Frau Lenneweit das mitteilte, ohne ihr zu sagen, warum erst morgen und morgen erst um elf. Es tat ihm gut, daß er Frau Lenneweits
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