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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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hemmungslose Neugier, die sie als beruflichen Eifer tarnte, brutal ignorierte.
    Heute nur per Handy, sagte er. Und, bitte, den heutigen Puma- Kurs auf die Mobilbox.
    Joni lächelte. Sie begriff, daß Karl angeben wollte. Vor ihr. Und daß er zeigen wollte, er wisse, jetzt gebe er an. Ihretwegen.
    Jetzt also Helen. Er würde, solange er mit Helen sprach, Joni anschauen. Er würde Joni dieses Gespräch zum Opfer bringen. Er konnte jetzt nichts anderes wollen, als Joni zu gefallen, sie durch alles, was er tat und sagte, von seinem Liebesernst zu überzeugen. So hat dich noch keiner geliebt. Das sollte sie ununterbrochen erleben.
    Bevor er Helens Handynummer abrief, mußte er Joni noch sagen, er, als Drehbuchautor von Alles paletti, hätte die Altersunterschiede anders bestimmt. Der, der dem Siebzigjährigen Kußmäulchen abnimmt, müßte neunundsechzig sein und sich gewaltig jünger fühlen als der Siebzigjährige. Und ihm wird Kußmäulchen von einem Achtundsechzigjährigen abgenommen, der sich geradezu naturgesetzlich legitimiert fühlt, dem Neunundsechzigjährigen das Mädchen wegzunehmen. Ob Joni ihm da zustimmen könne.
    Joni sagte, das wäre unsinnlich, kopflastig, konfliktlos, undramatisch. Das wäre nichts als ein Selbstgespräch in einem Altersheim.
    Da zog Karl seine Version zurück. Jetzt hatte er einmal gewagt, der kulturellen Fraktion eine Idee zu offerieren, dann das!
    Um so wichtiger war es, Joni vorzuführen, wie er Helen behandelte. Er wollte etwas verlangen. Von sich. Von Joni. Von Helen. Er fühlte sich Helen nichts als nah. Und Joni genauso. Auf einmal hielt er alles für möglich. Er weigert sich zu begreifen, daß jemand weniger für möglich hält als er. Er muß sich jetzt nur noch Helen verständlich machen, dann gibt es keine Schwierigkeit mehr. Keinen Streit. Er ist Helen so nah wie seit langem nicht. Und das durch Joni. Durch diese Ergriffenheit. Er ist lebendiger, als er je war. Deshalb empfindet er auch Helen heftiger als gewöhnlich. Das muß sie verstehen, dann ist alles gut. Dieser enorme Zustand darf nicht kaputtgehen an irgendeines Menschen Unfähigkeit, diesen Zustand zu begreifen. Wenn er Helen jetzt näher ist als je zuvor – und das ist er, und er ist es durch Joni –, dann kann sie doch nicht dagegen sein, daß er bei Joni ist! Er will seinen Zustand nicht herunterlügen müssen. Darum ruft er dich jetzt an, Helen, jetzt sofort.
    Aber Helen war schon in der Ottostraße, um Ehepaaren, die sich auseinandergelebt hatten, einen Weg zurück zu zeigen. Das, was er jetzt zu sagen hatte, in die Mobilbox zu sprechen, wäre ihm erbärmlich vorgekommen. Also sagte er nur: Liebe Helen, bis später.
    Er sah, daß Jonis Mund schon ganz klein geworden war. Er mußte ihr erklären, er habe vorgehabt, von Helen zu verlangen, daß sie ihn bei Joni sein lasse. Und zwar ohne Krach und Quatsch. Weil er nämlich noch nie von etwas so eingenommen gewesen sei wie von seiner Liebe zu Joni. Da bleibe nichts anderes übrig als die volle Einverstandenheit. Er kenne Helen gut genug, er dürfe sicher sein, daß sie die Höhe und die Stärke seines Gefühls zu ermessen wisse und daß sie, was ihm jetzt vom Leben selbst empfohlen worden sei, nicht in ordinären Eheszenen banalisieren wolle. Dieser Drang, dieser Zwang, rücksichtslos zu sein. Jenseits aller Diesseitigkeit ist gleich Berechenbarkeit ist gleich Abhängigkeit ist gleich Beherrschbarkeit.
    Kein Weg ohne Rückweg, sagte er und deutete pantomimisch das Aufstehen an. Er stemmte sich hoch, ohne merken zu lassen, welche Knochen ihm jetzt weh taten. Aber immerhin, nach dem harten Hörndlweg jetzt die sanfte Partie hinab durchs schmiegsame Kienbachtal.
    Der rauscht tatsächlich, sagte Joni. Das sei der erste Bach, den sie rauschen höre.
    Karl zog sie an sich, drehte ihr Gesicht nach oben und sagte: Dieser Regen ist nur für uns bestimmt.
    Ein seidenweicher Regen aus dünnsten Fäden, ein Sprühregen eigentlich, in dem keine Tropfen vorkamen. Eine überirdische Erfrischung. Joni erlebte es genauso wie er.
    Daß es dich geben muß, habe ich immer gehofft, sagte er. Wenn es dich nicht gäbe, wäre alles sinnlos gewesen. Weil es dich gibt, ist jetzt alles voller Sinn. Sogar Geschlechtsverkehr, das Unwort aller Unwörter, wird durch dich sinnvoll. Es gibt nichts als Geschlechtsverkehr. Alles andere ist Umweg, Ablenkung, Täuscherei, Betrug. Beim Geschlechtsverkehr mit dir erfahre ich, warum ich da bin.
    Irgendwann sagte Joni: Halt. Sie sagte es zweisilbig.

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