Angstfrei arbeiten
schon längst gefressen.
Angst baut sich auf – der Körper reagiert (Flucht oder Angriff) – die Angst geht wieder vorbei.
Angst – dieses Frühwarnsystem war also einmal überlebenswichtig. Nur wenn ich aufmerksam, wach und ängstlich genug bin, höre ich den Tiger schon von Weitem; ist mein Blick auch in der Dunkelheit geschärft, schrecke ich automatisch aus dem Schlaf hoch, wenn Gefahr droht.
Diese Urreflexe haben wir heute noch: Wir zucken zusammen, wenn wir ein ungewohntes Geräusch hören oder wenn plötzlich etwas Fremdes in unserem Blickfeld auftaucht. Auch wenn es heutzutage keine Säbelzahntiger mehr gibt – das Frühwarnsystem Angst ist immer noch nützlich: Wir sind vorsichtig beim Überqueren der Straße, wir stürzen uns nicht ständig unüberlegt in unbekannte Situationen, wir wägen ab, wir beobachten.
Wie so oft gilt auch hier der Spruch des alten Paracelsus 1 : Es gibt keine Gifte. Es ist alles eine Frage der Dosierung.
Ein gesundes Maß an Angst erhält uns am Leben. Zu viel davon macht krank. Der Urinstinkt funktioniert zwar noch, unser Organismus hat aber noch nicht begriffen, dass eskeine Säbelzahntiger mehr gibt und Angst nicht mehr unbedingt lebensrettend ist.
In unserer modernen Gesellschaft hat sich die Angst verselbstständigt. Wir haben sie oft nicht mehr unter Kontrolle, sie lähmt uns und macht uns krank.
Aber sie warnt uns auch, wie damals beim Säbelzahntiger. Unser Körper und unsere Seele reagieren auf irgendetwas. Und solch eine Warnung ist per se nichts Schlimmes – im Gegenteil: Wenn wir gut genug hinhören, können wir rechtzeitig reagieren. Die Angst lässt uns wachsam sein, genau hinsehen, abwägen, uns wappnen. Und deshalb ist sie manchmal sehr wichtig! Sie hält uns ab von zu schnellen und unüberlegten Reaktionen. Wir sind vorsichtig, passen auf uns auf. Wir schützen uns mit der Angst.
Und: Die Angst will uns immer etwas sagen, wir bilden sie uns nicht ein. Sie kommt nie, wirklich nie einfach so, ohne Grund. Wie gesagt: Die Angst ist weise. In manchen Religionen und Kulturen wird die Angst sogar als Freund gesehen und nicht als etwas, das wir aus unserem Leben verbannen müssen.
Die alten Indianer sagen: „Der Weg ist da, wo die Angst ist.“ Dieser Spruch hängt seit Jahren an meiner Pinnwand, weil ich ihn so immens wichtig finde. Fliehen wir nicht vor der Angst, haben wir keine Angst vor der Angst! Nein, lernen wir, sie auszuhalten! Ertragen wir dieses Gefühl, schauen wir genauer hin und lernen wir! Hören wir, was die Angst uns zu sagen hat! Meiden wir die Angst nicht, sondern gehen wir durch sie durch! Ja, es gibt sehr viel schönere Gefühle: Angst tut weh, Angst macht ohnmächtig, wir scheinen die Kontrolle über unser Leben zu verlieren,geraten in einen Teufelskreis aus schwarzen Gedanken, körperlichen Reaktionen und Schmerz.
Wenn wir sie aber aus Angst vor der Angst verdrängen, sie schönreden, sie nicht wahrhaben wollen, vor ihr fliehen, dann merken wir irgendwann: Sie ist schneller, sie holt uns ein. Und eigentlich ja mit guten Absichten. Sie will uns etwas sagen. Und wenn wir uns die Ohren zuhalten – tja, dann muss sie eben lauter werden.
Nehmen Sie sich ernst! Jede Angst ist schwer und wichtig
Ich habe im Vorwort schon davor gewarnt, Ängste zu bewerten oder zu kategorisieren. Kategorien sind Schubladen und helfen höchstens Wissenschaftlern für ihre Forschungen. Dem einzelnen Menschen schaden sie nur. Große Angst – kleine Angst, wichtige Angst – unwichtige Angst … wer darf darüber urteilen? Wenn Ihnen eine Angst im Nacken sitzt, dann macht gerade diese Angst Ihnen besonders zu schaffen. Und da fühlt sich unter Umständen die Angst vor der Präsentation am nächsten Tag genauso groß, schrecklich und unüberwindbar an wie die nackte Angst ums Überleben, wenn Sie gerade arbeitslos sind. Es sagt sich auf sicherem Boden leicht: So eine kleine Präsentation ist doch unwichtiger Kleinkram im Vergleich zur Existenzangst. Aber wenn Sie selbst gerade in einer Angst drinstecken?
Sieglinde, 43 Jahre, Projektleiterin, Coaching-Klientin:
„Ja, mir ist es wirklich oft peinlich, wenn ich schon wieder so rumjammere, nicht schlafen kann und jedem auf die Nerven gehe. Ich hasse einfach diese Präsentationen vor großem Publikum; ich bin eben keine Rampensau. Und da denk ich mir dann oft: Jetzt stell dich nicht so an, andere haben viel größere Probleme, die können wirklich und zu Recht Angst haben. Aber ich?“
Viele Menschen sind wahre
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