Angsthauch
eingeladen hatten, um gemeinsam mit ihnen Unmengen an scheußlichem regionalem Apfelwein zu vernichten. Sie hatten eine kleine Tanne auf den Dachfirst gestellt, es wurde gesungen, gelacht und getanzt, und irgendwann waren alle nach Hause getorkelt. Andy – Gareths Bruder, der aus Frankreich gekommen war, um beim Umbau zu helfen, und der mit ihnen zusammen im Nebengebäude wohnte – war sturzbetrunken auf dem Boden des Haupthauses eingeschlafen. Rose und Gareth hatten ein paar Decken über ihn gebreitet und waren dann auf Zehenspitzen ins Nebengebäude hinübergeschlichen, wo sie, nachdem sie achtzehn Monate lang das Schlafzimmer mit ihrer kleinen Tochter geteilt und in fast völliger Enthaltsamkeit gelebt hatten, alle Hemmungen über Bord warfen.
Als Rose dann ein paar Wochen später den Test machte und er positiv ausfiel, war das ein herber Schlag. Ursprünglich hatten sie geplant, dass Rose, sobald das Haus fertig und Anna eingeschult wäre, wieder eine halbe Stelle als Lehrerin annehmen sollte. Das hätte den finanziellen Druck auf Gareth gemildert und ihm erlaubt, in seiner Arbeit künstlerisch neue Wege zu gehen. Obwohl es ihm eine gewisse Befriedigung verschafft hatte, Türen einzuhängen und Wände einzureißen, hatte er nach einiger Zeit dennoch das Gefühl gehabt zu verkümmern. Damit seine Kreativität wieder in Schwung kam, brauchte er unbedingt viel Zeit und Ruhe in seinem Atelier – sobald er es gebaut hatte.
Rose wusste, dass das neue Baby all diese Pläne über den Haufen werfen würde. Sie wusste auch, dass Gareth aus verschiedensten Gründen immer nur ein Kind gewollt hatte. Dementsprechend schwer war ihr Herz, als sie zu ihm ging, um es ihm zu sagen. Er kniete draußen im Regen und war damit beschäftigt, eine alte von Efeu überwucherte Steinmauer neu zu verfugen. Als sie ihm die Neuigkeit mitteilte, zuckte er zusammen wie von einem Stromstoß getroffen. Er ließ die Kelle fallen, stand auf und ging wortlos davon.
Sie suchte Ewigkeiten nach ihm. Einen ganzen verregneten Nachmittag lang lief sie durch die Felder und rief seinen Namen wie eine Wahnsinnige, während in ihrem Inneren die Verzweiflung darüber, dass ihr Glück so zerbrechlich war, immer größer wurde. Irgendwann fand sie ihn schließlich im Schutz der Weide. Er saß da, rauchte und blickte in die braunen Strudel des Wassers.
»Eine Abtreibung kommt wohl nicht in Frage, was?«, meinte er und sah zu ihr auf.
Niemals. Rose wollte das Baby, und obwohl Gareth danach drei Tage lang nicht aus dem Bett aufstand, nahm die Schwangerschaft ihren Lauf.
»Wir kriegen das hin«, redete sie ihm am ersten Tag zu, als sie ihm Tee brachte, während der Regen unaufhörlich durchs fensterlose Erdgeschoss ihres unfertigen Hauses peitschte. »Wir haben noch ein paar Ersparnisse, und ich unterstütze dich, wo ich kann.«
Er telefonierte fast wöchentlich mit seiner Galerie, daher wusste Rose, dass die Nachfrage nach Gareths Werken durch seine Auszeit nur noch gestiegen war.
»Wenn du die richtigen Bedingungen hast, arbeitest du doch unheimlich ergiebig«, sagte sie am zweiten Tag, nachdem sie und Andy sämtliche Fensterlöcher mit blauer Plastikplane abgedichtet und so das Haus notdürftig wetterfest gemacht hatten.
Mit »richtigen Bedingungen« meinte Rose das helle, geräumige Atelier, das sie gerade in einem der Außengebäude einrichteten. Mit »ergiebig arbeiten« meinte sie, dass er mehr der immergleichen Sachen produzieren konnte. Was das Finanzielle anging, hatte sie alle Argumente auf ihrer Seite. Aber Gareth hatte vorgehabt, zu seinen Wurzeln in der Konzeptkunst zurückzukehren, und nun sah er sich mit einem Mal wieder in die kommerzielle Ecke gedrängt, aus der er eigentlich hatte entkommen wollen.
»Es könnte so schön werden, Gareth. Denk nur, ein Baby«, versuchte sie es am dritten Tag, als nach einem bis dahin milden und nassen Winter der erste Frost einsetzte.
Irgendwann hatte sich Gareth dazu durchgerungen, sein Bett zu verlassen und die Arbeit am Haus wieder aufzunehmen. Aber er war wie verwandelt. Seine Reaktion auf die Schwangerschaft war der Beginn einer langen Krise in ihrer Beziehung gewesen, die sie erst vor kurzem überwunden hatten.
Rose machte sich Sorgen, dass durch die Sache mit Christos – und insbesondere durch ihre Einladung an Polly – alles wieder von vorn losgehen würde. Sie wusste, dass sie rasch handeln musste, also zog sie die Barbourjacke fester um sich und lief über das silbrig blaue Gras
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