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Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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und Leben. An der Ecke blieb sie stehen, sah zur einen, dann zur anderen Seite. Es gab keinen Verkehr. Die Straßen waren wie leer gefegt. Lächelnd sah sie mich an und kam auf mich zu.
    »Sind Sie aus dieser Gegend?«
    Ich sagte einfach Ja, wollte gerne einen Moment mit ihr sprechen, hübsch, wie sie war. Ich dachte, sie wollte sich nach einer Adresse erkundigen, aber dem war nicht so.
    »Wissen Sie, wer hier in der Gegend seine Wohnung tauschen will?«, fragte sie.
    »Hier? Nein.«
    »Wohnen Sie in der Nähe?«
    Da ich schon gelogen hatte, machte ich gleich weiter.
    »Hier im Haus.«
    »Ach, und Sie haben keine Ahnung, ob jemand …?«
    »Nein, Schätzchen. Dies ist ein gutes Viertel, aus dem niemand wegwill.«
    »Ja, ich weiß. Ich wohne nicht weit von hier.«
    »Ah, und was hast du zu bieten?«
    »Eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern, einem Wohn-Ess-Zimmer, Bad, Küche, Balkon und kleinem Innenhof. Sie ist in gutem Zustand, müsste höchstens einmal gestrichen werden, dann ist sie perfekt.«
    »Suchst du was Größeres?«
    »Nein. Ich will dafür zwei kleinere Wohnungen.«
    »Lässt du dich scheiden?«
    »Ich bin nicht verheiratet. Ich will mich nur von meinen Eltern unabhängig machen.«
    »Mischen sie sich zu sehr ein?«
    »Ja. Sie lassen mich nicht in Ruhe. Dabei bin ich volljährig, und jetzt ist Schluss mit all der Aufsicht.«
    »Ich frage nur, weil ich eine Wohnung in Zentral-Havanna habe und …«
    »Zentral-Havanna? Nein, auf keinen Fall! Ich bin doch nicht blöd! Um nichts in der Welt verlasse ich El Vedado!«
    »Hör mir doch erst mal zu. Es hat auch seine Vorteile. Es gibt dort Telefon und keine Stromausfälle …«
    »Ja, und eine Million zerlumpte Schwarze und Polizisten und verrückte Alte und geile alte Böcke und Kakerlaken und Mäuse und überquellende Kloaken. O nein! Als Schwarze darf ich das wohl sagen. Halte mich nicht für eine Rassistin, aber neeee! Selbst schwarz sein reicht mir schon!«
    »Schon gut, Süße …«
    Verstimmt ging sie fort, ohne sich zu verabschieden. Der Splitter vom eigenen Prügel sitzt meist am tiefsten. Ruhig ging ich weiter und beobachtete den Frieden in dieser Waffenstillstandszone. Offenbar war mein Viertel Kampfzone. Kriegsschauplatz von niedriger Intensität. Zum Glück fühlte ich mich im Schmutz und mit meinen Negerfreunden sehr wohl.
    Es war fast halb sechs. Kurt tauchte nicht auf. Ich wartete noch zehn Minuten. Weitere zehn Minuten. Um zehn vor sechs ging ich. Ich kaufte mir etwas Rum und setzte mich gemütlich auf meine Dachterrasse mit Blick aufs Meer. Eine Zigarre, ein Glas Rum und das Meer. Manchmal versuche ich nachzudenken. Was man wohl auch tun sollte. Ernsthaft nachdenken. Worüber? Über das Nichts.
    Dann trank ich weiter. Menschlich gelangweilt und in Stille. Um neun Uhr abends war noch etwas Rum übrig, und ich hatte ganz schön einen getankt. Es war kühl geworden, und der Wind hatte aufgefrischt. Ich zog mir ein Wollhemd an und lehnte mich ans Fenster, um das ziemlich dunkle Havanna zu betrachten. Havanna in der Finsternis. Vollmond und Wolken. Es blies ein kalter Wind, als drohe Regen. Das Telefon klingelte. Kurt. Sehr nervös. Sein im Allgemeinen klares Spanisch war unverständlich. Er zitterte.
    »Perrro Guan? Perrro Guan?«
    »Ja?«
    »Kurt, Kurt.«
    »Ja. Was ist los?«
    »Entschuldige, dass ich dich anrufe. Entschuldige, Perrro Guan … aber ich habe sonst niemanden, entschuldige … ohhh, ich bin ganz erfroren.«
    »Erfroren? Wo bist du? Du kannst unmöglich erfroren sein.«
    »Es tut mir so leid, um Hilfe zu bitten. Oh, ich bin völlig mit den Nerven runter.«
    »Soll ich zu dir kommen? Wo bist du?«
    »Könntest du das?«
    »Ja, klar, sofort. Gib mir deine Adresse.«
    Sie war ganz in der Nähe von der 2. und 21. Straße, dort, wo es so angenehm war. In dreißig Minuten war ich da. Eine sehr kleine Wohnung am hintersten Ende eines Kellergeschosses, das zugleich als Garage eines zehnstöckigen Gebäudes diente. In ein kleines, von der Garage abgezwacktes Stück hatte jemand ein Zimmer mit Bad eingebaut. Es war ein winziger, deprimierender Raum ohne Fenster, insbesondere für mich mit meiner Klaustrophobie. Als ich ankam, war die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Ich rief. Kurt forderte mich auf einzutreten. Es war stockdunkel. Man sah die Hand vor den Augen nicht. Ich tastete an der Wand nach dem Lichtschalter, machte Licht, und … da lag Kurt nackt und zitternd auf dem Boden neben dem Telefon. Es stank nach Scheiße, nach frischer

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