Anita Blake 05 - Bleich Stille
verschränkt. Wir fuhren über eine Hügelkuppe. Ein Streifen Sonne fiel explosionsartig auf sein rotblondes Haar. Seine blauen Augen sahen in dem Moment, wo wir vom Licht in den Schatten glitten, durchscheinend aus. Er machte ein ganz mürrisch-trotziges Gesicht.
»Haben Sie außer bei einer Beerdigung oder Totenerweckung noch keinen toten Menschen gesehen?« Er schwieg eine Minute lang. Ich konzentrierte mich aufs Fahren, ließ das Schweigen im Wagen anwachsen. Die Stille war angenehm, wenigstens für mich.
»Nein«, sagte er endlich. Er klang wie ein kleiner Junge, dem man verboten hatte, nach draußen spielen zu gehen. »Ich komme auch nicht immer gut zurecht, wenn ich vor einer frischen Leiche stehe«, sagte ich.
Er sah mich ein wenig schräg an. »Wie meinen Sie das?«
Jetzt war ich es, die tiefer in den Sitz rutschen wollte. Ich kämpfte dagegen an und richtete mich auf. »Ich habe einmal auf einen Ermordeten gekotzt.« Selbst ganz schnell gesprochen war es peinlich.
Larry schoss grinsend aus seinem Sitz hoch. »Das sagen Sie nur, damit ich mich besser fühle.« »Würde ich denn so eine Geschichte über mich selbst erzählen, wenn sie nicht wahr wäre?«, meinte ich. »Haben Sie wirklich auf eine Leiche gekotzt?« »Sie sollten deswegen nicht so erfreut klingen«, sagte ich.
Er kicherte. Ich schwöre, dass er kicherte. »Ich glaube nicht, dass ich auf die Leiche kotzen werde.« Ich zuckte die Achseln. »Drei Leichen mit fehlenden Gliedern. Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können.« Er schluckte hörbar. »Was soll das heißen, fehlende Glieder?«
»Das werden wir noch sehen«, sagte ich. »Das gehört nicht zu Ihrer Stellenbeschreibung, Larry. Ich werde dafür bezahlt, dass ich der Polizei helfe. Sie nicht.« »Wird es schrecklich werden?« Seine Stimme klang tief, unsicher.
Bei aufgeschlitzten Leichen? Meinte er das ernst? »Das weiß ich erst, wenn wir da sind.« »Aber was glauben Sie?« Er starrte mich ganz ernst an. Ich schaute auf die Straße, dann zu Larry. Er sah sehr ernst aus, wie ein Verwandter, der den Arzt bittet, ihm die Wahrheit zu sagen. Wenn er tapfer sein wollte, konnte ich aufrichtig sein. »Ja, es wird schrecklich.«
7
Es war schrecklich. Larry hatte es geschafft, wegzustolpern, ehe er sich übergab. Der einzige Trost, den ich ihm anbieten konnte, war, dass er nicht der Einzige war. Auch von den Polizisten waren einige ein bisschen grün um die Nase. Ich hatte mich noch nicht übergeben, aber das konnte später noch kommen.
Die Leichen lagen in einer kleinen Senke am Fuß eines Hügels. Der Boden war knietief mit Laub bedeckt. Im Wald wird nicht geharkt. Die Blätter waren vom Wind ausgetrocknet, sodass sie bei jedem Schritt ein leises, scharfes Knacken von sich gaben. Die Senke war von kahlen Bäumen und Büschen mit peitschendünnen braunen Zweigen umgeben. Wenn alles grün war, war die Senke ringsherum gegen Blicke geschützt.
Der Tote, der mir am nächsten lag, war noch ein Teenager, ein blonder Junge mit kurzen Haaren ähnlich dem altmodischen Bürstenschnitt. Um die Augäpfel hatte sich das Blut gesammelt und floss von dort das Gesicht herab. Mit dem Gesicht und um die Augen herum stimmte etwas nicht, aber ich kam nicht dahinter. Ich kniete mich in das trockene Laub, froh, dass der Overall meine Strumpfhose vor Nässe schützte. Zu beiden Seiten des Kopfes hatte sich das Blut gesammelt und die Blätter durchgeweicht. Dann war es zu einer zähen braunen Masse geronnen. Es sah aus, als hätte der Junge dunkle Tränen geweint.
Ich tippte mit der Fingerspitze an sein Kinn. Es bewegte sich auf eine weiche, wacklige Art, wie es für ein Kinn nicht vorgesehen war.
Ich schluckte mühsam und versuchte, ganz flach zu atmen. Ich war froh, dass es noch Frühling war. Hätten die Leichen so lange in der Sommerhitze gelegen, wären sie in jeder Hinsicht reif gewesen. Das kühle Wetter war ein Segen.
Ich stützte mich mit den Händen ab und bückte mich derart, dass ich unter das Kinn sehen konnte, ohne den Toten noch einmal zu bewegen. Dort am Hals, fast ganz im Blut verborgen, war ein Einstich. Ein Einstich, der breiter war als meine Handspanne. Ich hatte Wunden von Messern und von Krallen gesehen, die ähnlich aussahen, aber diese war zu breit für ein Messer und zu glatt für eine Kralle. Außerdem, was hatte eine solche Kralle? Es sah aus, als wäre eine breite Klinge von unten in das Kinn gestoßen worden,
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