Anita Blake 06 - Tanz der Toten
Masse pulsierender, schwingender Energie traf. Ich blieb stehen, während ich versuchte, mein Herz wieder runterzuschlucken. Er trug Jeans und ein grünes Arbeitshemd aus Flanell mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Haare fielen als lockiger Wust lose um die Schultern. So hatte ich ihn schon hundert Mal gesehen, aber plötzlich war alles anders. Ich hatte noch nie Angst vor ihm gehabt, nicht ernsthaft. Jetzt sah ich zum ersten Mal, dass es da etwas zu fürchten gab. Da trieb etwas hinter seinen Pupillen entlang, seine Bestie, er rief sie. Sie war jetzt da, dicht hinter diesen ehrlichen braunen Augen. Ein Ungeheuer, das darauf wartete, freigelassen zu werden.
»Richard«, sagte ich und musste husten, um klar sprechen zu können, »was ist los mit dir?«
»Morgen ist Vollmond, Anita. Heftige Gefühle sind im Augenblick nicht gut.« Die Wut machte sein Gesicht schmal, die schönen Wangenbögen verengt. »Wenn ich euch nicht gestört hätte, hättest du dann dein Versprechen gebrochen?«
»Er weiß keineswegs, was ich unter dem Rock trage«, sagte ich. Richard lächelte, seine Anspannung löste sich ein wenig.
»Zu glatt für Strümpfe«, meinte Jean-Claude. »Also Strumpfhose. Die allerdings könnte im Schritt offen sein, da bin ich mir nicht sicher.« Richard knurrte. Ich warf Jean-Claude einen Blick zu. »Ich verzichte auf' deine Hilfe.«
Er lächelte und nickte. Er lehnte mit dem Rücken am Bettpfosten, strich mit den Fingerspitzen spielerisch über seine nackte Brust. Das war schlüpfrig, und so war es auch gemeint. Zur Hölle mit ihm.
Ein tiefes Knurren zog meinen Blick zu Richard. Er schritt auf das Bett zu, als ob ihn jede Bewegung schmerzte. Die Spannung vibrierte mit der anschwellenden Macht. Würde ich auf der Stelle zusehen müssen, wie er sich verwandelte? Wenn er sich verwandelte, würde es zu einem Kampf kommen, und zum ersten Mal fürchtete ich gleichzeitig um Jean-Claudes und um Richards Leben.
»Tu das nicht, Richard, bitte.«
Er starrte an mir vorbei zu Jean-Claude. Ich wagte nicht, mich umzudrehen und zu sehen, welches Unheil der Vampir anrichtete. Ich hatte mit dem Werwolf vor mir genug zu tun.
Da huschte etwas über sein Gesicht. Ich war sicher, Jean-Claude hatte irgendetwas gemacht. Richard gab einen mehr tierhaften als menschlichen Laut von sich und stürzte auf das Bett zu. Ich machte ihm nicht Platz. Ich blieb auf dem Fleck stehen, und als er an mir vorbei wollte, warf ich mich gegen ihn und schleuderte ihn über meine Schulter. Die Wucht erledigte den Rest. Vielleicht, wenn ich seinen Arm losgelassen hätte, hätte sich das Übrige vermeiden lassen, aber ich beging den klassischen Fehler. Ich glaubte nicht, dass Richard mir wirklich etwas tun könnte.
Er packte den Arm, der ihn festhielt, und schleuderte mich quer durchs Zimmer. Er lag flach auf dem Rücken und hatte nicht viel Hebelkraft, und das war alles, was mich rettete. Nur eine Sekunde lang war ich in der Luft, dann kollerte ich über den Teppich. Die Welt drehte sich noch, als meine Hand zum Messer griff. Ich hörte nichts außer dem Rauschen in meinem Kopf, aber ich wusste, ich wusste, dass er kam.
Er fasste meinen Arm, rollte mich herum und hatte meine Klinge am Hals. . Er erstarrte in gebückter Haltung, ich glaube, er hatte mir aufhelfen wollen. Wir starrten einander aus nächster Nähe an. Der Zorn war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Augen waren normal, so liebenswert wie immer, aber ich ließ das Messer, wo es war, und drückte es ein bisschen gegen den weichen Hals, damit ihm klar war, dass ich es ernst meinte.
Er schluckte vorsichtig. »Ich wollte dir nicht wehtun, Anita. Es tut mir schrecklich leid.« »Zurück«, forderte ich. »Zurück, Richard. Sofort!«
»Lass mich los, Richard.«
Er tat es und bewegte sich langsam von mir weg. Er sah verwirrt und gekränkt aus. Er fasste sich an die blutende Stelle, als wäre er völlig überrascht.
Als er außer Reichweite war, ließ ich mich auf den Teppich sinken. Ich hatte mir nichts gebrochen, dessen war ich sicher, und ich blutete nirgends. Wenn er mich mit derselben Kraft gegen die Wand geschleudert hätte, sähe die Sache jetzt anders aus. Ich war seit sieben Monaten mit ihm zusammen, hätte mehr als einmal fast mit ihm geschlafen und hatte während der ganzen Zeit nicht richtig begriffen. womit ich es zu tun hatte.
»Ma petite, geht es dir gut?« Jean-Claude stand am Fußende des
Weitere Kostenlose Bücher