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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Nun saß ich in der Klemme. Entweder zurück in ein Arbeitsverhältnis wie bisher, oder die harte Tour als selbstständiger Anwalt. Zurück schied aus. Es blieb also nicht viel übrig.

    Vierzehn Tage später unterschrieb ich einen Mietvertrag über ein Büro. Es sollte eine eigene kleine Kanzlei mit gleichgesinnten Anwälten werden. Über Anwaltsportale hatte ich andere Kollegen gefunden, die zwar ein Büro suchten, aber bei den Vermietern als nicht kreditwürdig galten. Auch Vermieter kannten die Verhältnisse auf dem Anwaltsmarkt und gingen lieber auf Nummer sicher bei der Vermietung, und so wurden Versicherungsagenturen und andere Gewerbetreibende Anwälten oft vorgezogen. Ich hatte da eine andere Ausgangsposition. Dank meiner Kanzleivergangenheit, den dortigen Abrechnungen und meiner bescheidenen Rücklagen erschien ich den Maklern durchaus kreditwürdig, schließlich
konnte ich ja die Courtage bezahlen. Und so war ich ein akzeptierter Vertragspartner, den man seinem Auftraggeber gern als Mieter nahelegte. Auch wenn ich keinen einzigen Mandanten und noch nicht einmal Möbel hatte. Zumindest bei Vertragsschluss war das so.
    Dann standen die handwerklichen Tätigkeiten an. In einem Möbelhaus suchte ich mir die neue Kanzleimöblierung aus. Anwaltszimmer, Besprechungszimmer, Sekretariat, an alles musste ich denken. Die Möbel wurden bereits in der darauffolgenden Woche angeliefert, und die meisten baute ich mit eigenen Händen auf, um Kosten zu sparen. Das war eine sehr anstrengende, aber auch schöne Zeit. Ich war voller Hoffnung und Zuversicht, was die Zukunft bringen würde. Getragen von dieser Motivation gingen die Aufbauarbeiten zügig voran. Die übrigen Kollegen, die leider zur Aufbauzeit gerade wichtige Besprechungen oder Verhandlungen hatten, brauchten sich bloß noch ins gemachte Nest zu setzen. Wir teilten die Miete auf. Ich trat dabei als Alleinmieter und somit als Alleinschuldner auf, die Kollegen überwiesen an mich den anteilsmäßigen Betrag. Wir rechneten nur die tatsächlichen Kosten ab, weshalb alle zufrieden waren. Eine Sekretärin war auch schnell gefunden und wir vereinbarten untereinander, dass wir uns auch die Kosten für diese Arbeitskraft aufteilten. Dann kam die Telefonanlage nebst Anschluss und Internet. Es konnte also losgehen.
    Aber das Wichtigste fehlte: die Mandanten! Ich hatte keinen einzigen Mandanten mehr, denn die waren alle in der alten Kanzlei. Wenn also einer nach mir fragte, sollte er die Information bekommen, wo ich zu finden war. Also musste ich in der Kanzlei anrufen, auch wenn es mir gegen den Strich ging. Ich wählte die alte Nummer, die ich unzählige Male aufgesagt und an Mandanten weitergegeben hatte. Die Sekretärin meldete sich wie immer und sagte routiniert ihren Telefonspruch
auf. Der bestand aus dem Namen der Chefs und der vermeintlich wichtigsten oder bekanntesten Anwälte der Kanzlei. Die restlichen Anwälte wurden mit dem Zusatz »und Kollegen« zusammengefasst. Meinen Namen sagte sie nicht mehr. Ich meldete mich freundlich, fragte nach dem Befinden und wollte den Chef sprechen. Er war derjenige, dem ich mein Anliegen mitteilen musste, denn nur er gab die verbindlichen Anweisungen in der Kanzlei.
    »Moment, bitte«, sagte die Sekretärin und schickte mich in die Warteschleife. Mozart, kleine Nachtmusik. War mir früher gar nicht aufgefallen.
    »Hören Sie«, meldete sich die Sekretärin wieder, »er möchte wissen, um was es geht.«
    »Das würde ich ihm gern selbst sagen.«
    »Tut mir leid. Das geht nicht. Er möchte es vorab wissen.«
    Um nicht einen Nebenkriegsschauplatz aufzumachen und schneller ans Ziel zu kommen sagte ich, was ich wollte. Wieder schickte sie mich in die Warteschleife. Nach drei Minuten vernahm ich wieder die Stimme der Sekretärin. Sie war angespannt.
    »Hören Sie, er sagt, ich soll Ihnen Folgendes ausrichten.« Am Rascheln hörte ich, dass sie nach einem Zettel kramte. Offensichtlich hatte er mehr auszurichten. Ich war gespannt. »Also, er sagt, es gibt keine Mitteilung über irgendwelche Adressen und er wird auch nichts veranlassen. Sie seien da selber schuld, denn …«
    »Sorry, aber ich habe einen Anspruch und auch die Mandanten haben das Recht, sich zu entscheiden, wer den Fall bearbeiten soll. In unserem Land gilt immer noch die freie Anwaltswahl.« Ich zielte auf eine Vorschrift im anwaltlichen Standesrecht ab, die es den Mandanten überließ, wer das Mandat bearbeiten soll: die bisherige Kanzlei oder der ausgeschiedene Anwalt.

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