Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
Vom Netzwerk:
seitens der Kanzlei.« Ich wusste, dass das so sicher nicht möglich wäre, denn das wäre die völlige Kapitulation des Chefs gewesen. Das hätte er vor keinem der Kollegen rechtfertigen können. Alle hätten das dann gewollt. Seine Kanzleistruktur und seine Honorarpolitik wären damit am Ende gewesen. Auch wenn es sicher für jeden Anwalt erstrebenswert ist, seine Mandate nach Gerechtigkeit anstatt nur nach finanziellen Interessen aussuchen zu dürfen, dieser Weg war durch den Chef und seine Interessen verbaut. Es waren die Honorarabgaben der Anwälte, die dem Chef zuflossen und ihm sein angenehmes Leben finanzierten. Fielen sie weg, müsste er selbst mehr arbeiten oder kürzertreten. In jedem Fall traf es seinen Geldbeutel und seine Lebensqualität. Deshalb bot ich den letzten Kompromiss an, der mir einfiel. »Wenn ich einen Fall nicht mache, obwohl er an mich herangetragen wird, gebe ich ihn an einen anderen Kollegen in der Kanzlei. Und der kann sich dann entscheiden.«
    »Kommt nicht infrage. Nur einmal werde ich Ihr eigensinniges Verhalten dulden. Danach machen Sie wieder die Fälle, die am besten bezahlt werden. Basta!«
    »Wie Sie meinen. Dann eben nicht!« Ich ging zurück auf die andere Seite meines Schreibtischs und begann, meine Sachen zu packen.
    Der Chef saß weiter auf dem Besucherstuhl und sah mir zu. Als ich fertig war und gerade Richtung Bürotür gehen wollte, hob er die Hand. »Stopp, stopp, stopp. Was wollen Sie wirklich? Ihnen geht es doch ums Geld, oder? Sagen Sie einfach, wie viel es mehr sein soll, denn um diese lächerliche Gerechtigkeit für irgendeinen Busfahrer kann es Ihnen ja wohl kaum gehen. Sagen Sie ruhig eine Zahl, ich denke dann gern darüber nach.«

    Ich ging um den Schreibtisch herum direkt Richtung Tür. Zwei Meter vor der Tür blieb ich kurz stehen. »Es geht mir tatsächlich um diese lächerliche Gerechtigkeit, wie Sie sie nennen. Mir ist sie wichtig. Ihr Geld können Sie behalten oder dem nächsten geben, der sich kaufen lässt. Bei mir ist das vorbei. Ich mache das nicht mit.«
    »Wie Sie wollen, aber Sie werden das bitter bereuen. Spätestens, wenn wir uns mal irgendwo in irgendeiner Sache gegenüberstehen.«
    Ich drehte mich um und ging mit meinen wenigen Sachen aus dem Büro. Im Sekretariat legte ich den Kanzleischlüssel auf den Schreibtisch der Sekretärin. Sie hatte das Geschrei gehört und saß eingeschüchtert an ihrem PC. Aufgeschreckt durch das metallische Geräusch des auf ihren Schreibtisch fallenden Schlüssels dreht sie sich zu mir um. »Machen Sie es gut. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück!«, flüsterte sie. Dann drehte sie sich zurück und schrieb weiter.

    Unten auf der Straße angekommen, ging ich in ein Café, um Distanz zu dem Streit zu bekommen. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich klar, dass ich arbeitslos war und auch keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen konnte. Schließlich war ich auf dem Papier selbstständig, auch wenn man in einer Kanzlei mehr Arbeitnehmer war, als einem lieb sein konnte. Und selbst wenn ich Arbeitnehmer gewesen wäre, durch meine eigene Kündigung hätte ich den Anspruch auf staatliche Hilfe verloren. Ich war nun allein mit meiner Gerechtigkeit. Ohne Job, ohne Plan, ohne Idee, aber trotzdem mit einem gutem Gefühl im Bauch. Auch wenn ich es noch nicht spürte, weil ich noch zu erleichtert über meine Befreiung war, sollten nun neue, harte Zeiten auf mich zukommen. Wie hart, das konnte ich mir in keinster Weise ausmalen. Aber auch die positive Seite der neuen Zeit und die damit verbundene
persönliche Entwicklung war mir nicht annähernd bewusst. Ohne eine Ahnung von alldem fuhr ich schließlich nach Hause.

34
    Die folgenden drei Tage tat ich nichts. Erst am vierten Tag holte ich mir die Zeitung und schlug die Stellenanzeigen auf. Was ich fand, gefiel mir gar nicht. Entweder waren es Angebote von Kanzleien der Art, wie ich sie gerade verlassen hatte, oder eine an Selbstausbeutung grenzende Stelle in einer namenlosen Firma. Der Anwaltsmarkt war in jeder Hinsicht extrem. Es gab einige große Kanzleien, die sich neue Anwälte leisten konnten, aber die funktionierten eben nach dem Prinzip des Geldes. Daneben gab es dann die große Masse der vielen selbstständigen Anwälte, die täglich ums Überleben kämpfen mussten. Die meisten von ihnen konnten sich nicht einmal eine eigene Sekretärin leisten. Mittlere Kanzleien schienen ganz ausgestorben zu sein, jedenfalls fand ich keine entsprechenden Stellenanzeigen.

Weitere Kostenlose Bücher